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Der Sargdeckel klappt zu

Von HEIDI JÜRGENS 17.06.2010, 16:15

HALLE/MZ. - Am Samstag gibt es noch einen Abschiedsabend für Freunde und Bekannte. Dann ist Schluss. Die Wirtsleute hören aus gesundheitlichen Gründen auf - einen Nachfolger haben sie nicht finden können. "Noch nicht", wie Dorothea Lies mit einem letzten Funken Hoffnung sagt. Zwölf Tage bleiben noch für die Suche nach einem neuen Wirt, zum 1. Juli haben sie ihren Mietvertrag gekündigt.

Aber Thomas Lies hat kaum noch Hoffnung. Und so ist es mehr als wahrscheinlich, dass am Freitag das Ende einer der kultigsten und ältesten Kneipen in Halle bevorsteht, die sich bis heute gehalten haben.

"Schon 1832 ist sie in irgendwelchen Akten erwähnt worden - aber ohne speziellen Namen", sagt Lies und verweist darauf, dass es damals noch eine Vorstadt-Kneipe in der einstigen Brunnengasse war. Um 1900 soll Lies zufolge der Name Martha-Klause aufgekommen sein - denn unweit befanden sich mit dem Martha-Haus und der Marthastraße die Namensgeber.

Wann die Kneipe zum Sargdeckel wurde und warum, darüber gibt es unterschiedliche Versionen. Eine besagt, dass schon im 19. Jahrhundert der Sargtischler von gegenüber der Besitzer war. Eine andere, dass der Sargtischler eine Rechnung mit einem Sargdeckel bezahlte. Doch wie auch immer: Ein Sargdeckel hing wohl schon in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Gastraum, und so ist es bis heute geblieben. Wobei es nicht mehr der ursprüngliche ist, "den haben garantiert die Würmer längst gefressen", sagt Dorothea Lies. Der heutige wurde eigens angefertigt, hinzu kam ein kleiner, der als Lampe über dem Stammtisch hängt. Und selbst über dem Torbogen an der Straße wurde noch einer angebracht.

Zu DDR-Zeiten durfte die Kneipe übrigens offiziell nicht mehr Sargdeckel heißen und wurde erneut zur Martha-Klause, was sich nach der Wende wieder änderte. Und 1994 wäre es dann schon einmal fast endgültig vorbei gewesen - das alte Haus wurde unter großen Protesten aus der Bevölkerung abgerissen. Doch zwei Jahre später zog die Kneipe in den Neubau wieder ein. Mit dem alten Mobiliar und natürlich auch dem Sargdeckel.

Legenden ranken sich auch um die Wirtsleute des "Deckels". So soll Bernhard Weißbach, Betreiber von 1913 bis 1937, mit einem Schild "Vorsicht, grober Wirt" gewarnt und Leuten, die Schach spielen oder nichtalkoholische Getränke bestellen wollten, gesagt haben: "Meine Kneipe ist keine Kirche". Allerdings ließ er auch anschreiben, ein kleiner "Schuldenturm" von Bierdeckeln verwies darauf, dass er durchaus Verständnis hatte, wenn jemand in Geldnot war.

Viele Hallenser werden sich noch an Rolf Valerius erinnern, der den Sargdeckel mit seiner Frau Bringfriede seit 1968 bewirtschaftete. Gerade auch im Blick auf sein nicht zimperliches Umgehen mit Gästen war der zur Martha-Klause rückbenannte Sargdeckel in der Valerius-Zeit bis zu Valerius' Tod 1992 eine echte Kultkneipe - vor allem für Studenten und Theaterleute. Zur "Bühne 5" sei die Kneipe über Jahre für Angehörige des damaligen Landestheaters geworden, die in Pausen kurz einkehrten, erinnert sich Dorothea Lies, die mit ihrem Mann seit 1973 zu den Stammgästen gehörte und später zeitweise den Wirtsleuten half.

Als Bringfriede Valerius, die nach dem Tod ihres Mannes die Wirtschaft führte, sich 1998 entschloss, aufzuhören, "hat die uns gefragt, ob wir alles übernehmen", so Dorothea Lies. "Wir hatten 14 Tage Bedenkzeit." Der Physiker und die Medizinpädagogin wagten den Sprung ins kalte Wasser. Der Stil der Kneipe wurde bewahrt, einiges kam hinzu. Bilder aus dem alten Halle zum Beispiel und eine Sammlung betagter Rundfunkempfänger.

Wenn die Kneipe nun schließt und sich niemand mehr findet, der sie weiterführt, kommt das Mobiliar vorerst in ein Lager. Und natürlich auch der Sargdeckel. Weil die Hoffnung auf eine Auferstehung noch nicht begraben werden soll.