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DDR-Kunst DDR-Kunst: Die verschollenen Märzkämpfer - Schrotträuber stehlen Bronzeplastik

Von Steffen Könau 19.12.2017, 11:00
Letzte Ruhe in der Kasernengarage: Nur eine der ehemals drei Bronzefiguren ist wenigstens noch teilweise vorhanden, die anderen sind spurlos verschwunden - obwohl die mutmaßlichen Diebe gefasst wurden.
Letzte Ruhe in der Kasernengarage: Nur eine der ehemals drei Bronzefiguren ist wenigstens noch teilweise vorhanden, die anderen sind spurlos verschwunden - obwohl die mutmaßlichen Diebe gefasst wurden. Foto: Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Es ist 16.30 Uhr an diesem heißen Augustsonntag, als der Streifenwagen bei einer Routinefahrt die Garagenanlage in Teutschenthal (Saalekreis) erreicht und zwei sehr beschäftigte Männer entdeckt. Beide sind mit einem weißen Kleintransporter vorgefahren, obwohl sie hier keine Garage haben. Und die Polizisten haben einen Fahndungsauftrag nach einem solchen weißen Transporter im System.

Die Beamten steigen aus und beginnen mit einer Personenkontrolle. Volltreffer: Die Männer sind polizeibekannt, vorbestraft und gerade dabei, eine Garage auszuräumen. Bei der Kontrolle des Kastenwagens allerdings staunen die Beamten. Auf der Pritsche liegt, in mehrere Einzelteile getrennt, eine riesige Bronzefigur.

Die Plastik, mehr als zwei Meter hoch und fast eine Tonne schwer, ist Teil eines Kunstwerkes des halleschen Bildhausers Gerhard Geyer, die am Tag zuvor in Halle gestohlen worden war. Während die Stadt ihr traditionelles Laternenfest feierte, fuhren die Diebe vor und holten die zwei verbliebenen von ursprünglich drei Figuren von ihrem Sockel.

Plastik von ehemaliger Stasi-Zentrale am Gimritzer Damm gestohlen

Anwohner, die den Raub beobachten, alarmieren die Polizei. „Als unsere Beamten vor Ort waren“, beschreibt Polizeisprecherin Lisa Wirth, „trafen sie die Täter nicht mehr an.“ Nur der Kleintransporter wurde in die Fahndung gegeben und eine Anzeige wegen versuchten Diebstahls geschrieben. Versucht? „Ob wirklich ein Kunstwerk gestohlen wurde, konnte nicht feststellt werden, weil da zwar ein leeres Podest zu sehen war, aber nicht bekannt war, was dort vorher stand.“

Das Kunstwerk „Mitteldeutsche Arbeiter im Kampf gegen General Maercker“ verschwand, wie es 40 Jahre zuvor errichtet worden war: In aller Stille. So hatte die Bezirkszentrale des Ministeriums für Staatssicherheit die von Geyer Anfang der 70er Jahre geschaffte Plastik auch aufgestellt - ohne öffentliche Feier, abgeschottet hinter der hohen Mauer der Stasi-Zentrale am Gimritzer Damm in Halle.

Gisela Geyer, die heute 97-jährige Witwe des Künstlers, konnte die riesige Skulptur nie leiden. „Sie ist nicht schön“, sagt sie, „viel zu wuchtig.“ In den Unterlagen ihres Mannes finden sich bis auf einen Hinweis auf eine 61 Zentimeter große Vorstudie aus dem Jahr 1970 keine Papiere zur Märzkämpfer-Plastik. 

Die Märzkämpfe in Mitteldeutschland waren 1921 ein Arbeiteraufstand vor allem in Halle, Leuna, Merseburg und im Mansfelder Land. Die vom linksradikalen Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationalen initiierte Revolte sollte die Republik schwächen.

Mit einem Streikaufruf am 21. März begann der Aufstand, unter anderem besetzten die Aufständischen ihre Werke. Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) verhängte am 24. März den Ausnahmezustand, gestreikt wurde mittlerweile unter anderem auch im Ruhrgebiet.

Am 29. März schlugen Truppen die Revolte nieder, unter anderem wurde das Werk in Leuna mit Artillerie beschossen. Insgesamt hatten reichsweit 200.000 Arbeiter gestreikt. 180 Menschen kamen ums Leben, 35 davon waren Polizisten.

In der DDR wurden die Märzkämpfe mythologisiert und galten als spontane Massenerhebung des unterdrückten Industrieproletariats.

„Das war alles geheim damals“, erinnert sich Gisela Geyer, die nur noch weiß, dass der Stasi-Agent und spätere Architekt Heinz Gläske, seines Zeichens Bauherr der Politbüro-Siedlung Wandlitz, ihrem Mann zu dem Auftrag verhalf. „Als die Plastik aufgestellt war, rief er an und forderte einen Teil des Honorars als Vermittlungsgebühr.“

Finanzministerium wird unfreiwillig Eigentümer von Stasi-Zentrale und Kunstwerk

Nach der Wende wurde das Magdeburger Finanzministerium mit dem Einzug des Finanzamtes unfreiwillig Eigentümer von Stasi-Zentrale und Kunstwerk. Auf den Verlust der Drei-Tonnen-Plastik reagiert man dort unaufgeregt. Das Kunstwerk, das als „Figurengruppe“ mit der Nummer 094 56601 auf der Liste der halleschen Kulturdenkmale steht, sei „wahrscheinlich von Schrottsammlern gestohlen worden“, heißt es anfangs. Über die dritte Figur, die bereits vor Jahren nach einem Diebstahlsversuch vom Sockel geholt und eingelagert worden war, kann das Ministerium keine Auskunft geben.

Marit Krätzer, Chefin der halleschen Außenstelle der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU), die sich in einem früher vom MfS genutzten Block direkt neben dem ehemaligen Stasi-Hauptgebäude befindet, weiß etwas mehr. Krätzers Mitarbeiter hatten das Fehlen der beiden noch stehenden Figuren der Geyer-Plastik als erste bemerkt. „Wir beginnen Außenführungen über das Gelände dort“, beschreibt die Herrin von sieben Kilometern Stasi-Unterlagen. Ende August seien die Figuren dann plötzlich nicht mehr dagewesen.

Die dritte Figur, ein aufrecht stehender Mann mit auf den Boden gestütztem Gewehr, habe dagegen immer in einer Garage auf dem Gelände gelegen. Erst als das Finanzamt auszog, verschwand auch dieser Märzkämpfer. „In der Garage ist er jedenfalls nicht mehr“, sagt Margit Krätzer.

Rathaus in Halle erklärt sich für Geyers Kunst nicht zuständig

Ein Abgang ohne Spuren. Und ein Verlust, der seltsam folgenlos bleibt. Dabei ist nach Gerhard Geyer, einem Burg-Absolventen, Weidanz-Schüler und mehrfachen Kunstpreisträger seiner Heimatstadt, in Halle nicht nur eine Straße benannt. Der vor 110 Jahren in Halle geborene Bildhauer und Grafiker hat auch im Stadtbild vielfältige Spuren hinterlassen. Gisela Geyer verweist auf ein bronzenes Bildnis des Renaissance-Malers Matthias Grünewald und eine Bronzeplastik zu Ehren des ersten afrikanischen Studenten der Martin-Luther-Universität, Anton Wilhelm Amo. Dieser zeuge, wie Geyers bekanntestes Werk, das Bronzedenkmal des kleinen Trompeters, von einer kräftigen proletarischer Handschrift. Doch die Figur ist schon kurz nach dem Mauerfall ins Depot verbannt worden.

Gisela Geyer blättert in einem Ordner mit Dokumenten und nimmt einen Schluck Kaffee. Man müsse bestimmt nicht alles schön finden, was ihr Mann geschaffen habe, sagt die rüstige alte Dame, „auch ich finde ja nicht alles schön“. Aber Kunst deshalb mit Nichtachtung zu strafen? „Und dann kann jeder alles stehlen?“

Das hallesche Rathaus aber erklärt sich für Geyers Kunst nicht zuständig. Eigentümer sei das Land, die aus dem öffentlichen Raum gestohlene Plastik sei dessen Sache. Das Finanzministerium wiederum ist über Wochen überfordert mit der Aufgabe, den Aufenthaltsort der von der Polizei in Teutschenthal gefundenen Figur herauszufinden. Dann stellt sich heraus: Der Landesbetrieb Bau- und Liegenschaftsmanagement (BLSA) hat die zerlegten Überreste in der halleschen Fliederwegkaserne eingelagert.

Prozess wegen Diebstahls in der Garagenanlage: Männer sitzen in Untersuchungshaft

Es ist der Märzkämpfer, der sein Gewehr quer hält, der seitdem hier liegt. Letzter Überlebender eines Kunstwerks, das allenthalben Berührungsängste erzeugt. Das sei doch alles hässlich, kommentiert ein Mann, der in die Suche involviert ist. Ein „typisches Stasi-Werk“ glaubt ein anderer, der von den Märzkämpfen nie gehört hat. Halles Stadtarchivar Ralf Jacob sieht das anders. Unabhängig vom Materialwert, der bei bis zu 20.000 Euro liegen dürfte, „handelt es sich um ein einmaliges Kunstwerk, das mit Blick auf das hundertjährige Jubiläum der Märzkämpfe in zwei Jahren wichtig gewesen wäre“, klagt er.

Für den künstlerischen Wert sprechen auch Auktionsergebnisse, die Werke Gerhard Geyers aktuell immer noch erzielen. Vor zwei Jahren erst wurde seine Plastik „Schreitende Afrikanerin“ für 1.500 Euro versteigert. Dabei handelt es sich um eine Statue von nicht einmal 40 Zentimeter Höhe, wie sie der Bildhauer seiner Witwe zufolge am liebsten schuf. Die vor dem Finanzamt entwendeten Figuren sind wesentlich größer.

Auch Margit Krätzer bedauert das Verschwinden der Plastik, die zwar keine Stasi-Männer darstellte, wie viele glaubten. Aber viel über das ästhetische Empfinden des MfS erzähle: Männer, Waffen, geballte Fäuste.

Hoffnung auf eine Entdeckung der zwei verschwundenen Figuren aber besteht nicht mehr. Das Verfahren wegen des Diebstahls der im Kleinlaster gefundenen Figur mit dem Gewehr sei eingestellt worden, weil „gegen die Beschuldigten bereits wegen anderer Delikte Anklage erhoben worden ist“, wie es bei der Staatsanwaltschaft heißt. Ob beide zum Verbleib der zweiten Ende August geraubten Figur überhaupt befragt wurden, sagt die Akte des Falles nicht. „Einer hat gar nicht ausgesagt, der andere eine Beteiligung am Diebstahl bestritten.“

Beide Männer sitzen in Untersuchungshaft, ihnen wird wegen des Diebstahls in der Garagenanlage der Prozess gemacht. Gisela Geyer indes hat die Hoffnung aufgegeben, dass sich eine der größten und die zweifellos umstrittenste Plastik aus dem Atelier ihres Mannes wieder findet. „Es ist schon so viel geklaut worden in den letzten Jahren“, winkt sie ab. Schlimm sei, dass wohl alles eingeschmolzen werde. „Und niemand hat etwas dagegen.“  (mz)

Die Märzkämpfer-Plastik, als sie noch komplett war.
Die Märzkämpfer-Plastik, als sie noch komplett war.
Steffen Könau
Gisela Geyer ist 97 Jahre alt und in Sorge um das Werk ihres Mannes.
Gisela Geyer ist 97 Jahre alt und in Sorge um das Werk ihres Mannes.
Steffen Könau