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Das Taufkleid vom Urgroßvater

Von HEIDI JÜRGENS 16.04.2010, 16:20

HALLE/MZ. - So ganz geheuer schien es der kleinen Dorothea Charlotte nicht zu sein, als ihr Mutter Constanze und Großmutter Margot schon mal probehalber das Kleidungsstück anprobierten, das am Sonntag wieder einmal zu Ehren kommt. Dann nämlich soll das sechs Monate alte Mädchen in der Mötzlicher Pankratius-Kirche getauft werden. Das Kleid, das Dorothea Charlotte dabei tragen wird, ist kein neues. Ganz im Gegenteil - es wurde bereits vor 126 Jahren genäht. Und getauft wurden bisher 22 Kinder darin - als bisher letztes Dorotheas mittlerweile dreijährige Bruder Otto-Wilhelm.

Die Ururgroßeltern von Dorothea Charlotte, Agnes und Wilhelm Dorendorf, hatten es 1884 zur Taufe ihrer Erstgeborenen anfertigen lassen. Wo genau, das vermag Margot Schaaf, Enkelin von Wilhelm und Agnes Dorendorf, auch nicht zu sagen. "Die Familie lebte in Süplingen bei Haldensleben, dort irgendwo ist es sicher auch genäht worden", so die Tornauerin, die 1962 aus der Börde zu ihrem Mann an die Saale zog.

Gefertigt wurde das Taufkleid aus einem leinenartigen Stoff mit Spitzenbesatz aus Lochstickerei, die wiederum teilweise mit hellblauer Seide unterlegt ist. Zudem zieren Stickereien das festliche Gewand, das eine doch erstaunliche Länge hat.

Je nachdem, ob ein Junge oder ein Mädchen zum Taufstein gebracht wurde, erhielt das Kleid eine Schleife aus hellblauem oder rosafarbenem Band. 22 Kinder waren es in den vergangenen 126 Jahren, die den Segen so gekleidet erhielten.

Dem ersten Täufling folgten noch weitere elf Geschwister, darunter auch der Vater von Margot Schaaf. "Das Kleid ist dann von weiteren Nachkommen getragen worden, aber nie an Freunde oder Bekannte verborgt worden", sagt Margot Schaaf, die das Erbstück nun schon jahrzehntelang verwahrt. Und natürlich sind auch ihre Kinder Ulrike und Gunnar, der Vater der kleinen Dorothea Charlotte, darin getauft worden.

"Ursprünglich gehörte ja auch noch ein Steckkissen dazu, auf dem das Kind lag", erzählt sie. Aber das habe schon lange ausgedient - im Gegensatz zu dem Kleid, das in all den Jahrzehnten zunächst mit Wasser und milder Seife gesäubert wurde und vor etwa 50 Jahren sogar problemlos eine chemische Reinigung überstand. Seitdem pflegt es Margot Schaaf aber nur noch vorsichtig mit Feinwaschmittel.

Bewundert haben das Kleid im Verlauf der 126 Jahre bisher jedoch nicht nur Familienmitglieder und Taufgäste. Vor einigen Jahren gab es zur Nacht der Kirchen im Pankratius-Gotteshaus in Mötzlich eine Ausstellung zum Thema Taufe, dort bestaunten zahlreiche Besucher neben weiteren Taufkleidern auch dieses. "Ob es das hübscheste war, das mag ich nicht einschätzen", sagt Margot Schaaf. "Auf jeden Fall war es das älteste."

Wenn am Sonntag Dorothea Charlotte getauft wird, dann hat auch die kleine Kirchgemeinde Mötzlich / Tornau noch etwas ganz besonderes zu vermerken: "Unsere Enkelin ist genau das 100. Gemeindeglied", sagt Margot Schaaf, die sich mit der ganzen Familie nun noch eines wünscht: Dass die Sonne scheint, wenn die Taufe mit Verwandten und Freunden gefeiert wird.