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Stadtteil Damaschkestraße Damaschkestraße in Halle (Saale): Hier ist man unaufgeregt glücklich

Von Julia Rau 09.01.2018, 07:00
René Moses vor dem Bunabrunnen, einem kleinen Wahrzeichen des Viertels.
René Moses vor dem Bunabrunnen, einem kleinen Wahrzeichen des Viertels. Lutz Winkler

Halle (Saale) - Mit den Gebäuden im Viertel ist es wie mit einer Keksdose: Ganz oben sind die dicken Brocken: Kaserne, Krankenhäuser, Südfriedhof. Wer weiß, wie viele Menschen diese drei schon in dieser Reihenfolge durchlaufen haben? Gen Süden rieseln Wohnblocks Richtung Stadtrand - ganz unten die beschaulichen Krümel: Einfamilienhäuser und Kleingärten.

Halle hat mehr als 60 Stadtteile, Viertel und Stadtquartiere. Wir stellen alle vor: hier die Damaschkestraße.

Irgendwo in der Mitte, in einem der pastellfarbenen Wohnblocks, die hier so ordentlich Spalier stehen, wohnt René Moses. Der Sozialarbeiter ist 1992 hergezogen. In seinen 20ern hat er im Viertel gebolzt. Sonst passierte – genau wie heute - nicht viel: Aber genug, um nicht darüber zu klagen. „In den Gartenkneipen ist immer mal was los“, sagt Moses. „Oder eben im Bürgerhaus“.

Damaschkestraße in Halle (Saale): René Moses und seine Kollegen arbeiten daran, hier eine Gemeinschaft aufzubauen

Das Bürgerhaus ist ein Gemeinschaftstreff – wer darin feiern will, kann den Saal mieten. Vereine treffen sich hier, mittags gibt es täglich was Warmes, und regelmäßig organisieren Mitarbeiter etwas für Kinder und Jugendliche. Wer in der Kreide steht, findet hier eine Schuldnerberatung. Moses und seine Kollegen arbeiten daran, aus Nachbarschaft Gemeinschaft zu machen.

„Lange Jahre hatten wir allerdings das Problem, dass das Viertel überalterte“, erzählt der 48-Jährige. Vor rund fünf Jahren kam endlich die Kehrtwende: „Jetzt ziehen immer mehr junge Familien her“. Und Moses will gewappnet sein, wenn die neuen Nachbarn das Bürgerhaus entdecken. „Wir haben zuletzt die Angebote für Familien in den Fokus gerückt und wollen natürlich, dass auch die Jugendarbeit wieder Fahrt aufnimmt“, sagt der 48-Jährige.

Damaschkestraße in Halle (Saale): Bisher trägt sich das Bürgerhaus vor allem durch die älteren Stammkunden

Bis es soweit ist, kann sich das Bürgerhaus zumindest auf die Stammkunden verlassen: Ältere Semester, die in der Kantine essen oder eine Runde schnacken wollen. Eine davon ist Frau Hoffmann. Die adrette 95-Jährige kommt bei Wind und Wetter in Faltenrock und Bluse, setzt sich auf ihren Stammplatz in der Kantine und isst in Ruhe das Tagesgericht. Wenn sie Lust hat, erzählt sie von früher.

„Ich habe 40 Jahre lang in der Buchhaltung für die Buna-Werke gearbeitet“, sagt sie. „Früher war hier auch noch nicht alles bebaut.“ So richtig viel habe sich trotzdem nicht verändert. Die Häuser sind heute lindgrün und pfirsichfarben statt graubraun. Ein paar Spielplätze sind verschwunden, als die Geburtenrate in den Keller rutschte. „Früher haben viel mehr Kinder auf den Straßen gespielt“, sagt eine andere Bewohnerin. „Da kamen ja auch nur einmal am Tag das Milchauto und die Post durch, sonst war nicht viel“, so die 57-Jährige, die jahrelang in der alten Teefabrik in der Merseburger Straße arbeitete, „da, wo heute die Sparkasse ist“.

Damaschkestraße in Halle (Saale): 500 Arbeitsstunden für eine Wohnung in der „Buna-Siedlung“

Ihr Mann schaffte für die Buna-Werke, so wie viele Leute im Viertel. Das Chemiekombinat hatte eigens eine Siedlung für seine Mitarbeiter aufbauen lassen. Wer in die „Buna-Siedlung“ im Damaschkeviertel ziehen wollte, musste zunächst Arbeitsstunden leisten. „500 pro Wohnung“, sagt Frau Hoffmann. Obendrauf ein Bündel DDR-Mark und fertig war das Wohnblock-Träumchen.

Nach Feierabend ging man ums Eck, in den Buna-Club, eine kleine Gaststätte. „Die wurde in den frühen 90er Jahren für eine symbolische Mark verkauft“, erzählt ein Bürgerhaus-Besucher. Der neue Besitzer habe die Schenke plattgewalzt und an die Stelle einen Parkplatz gepflastert: Kein guter Tag für die Gemeinschaft im Viertel.

Damaschkestraße in Halle (Saale): Behütete Gegend, aber nur wenige Treffpunkte

Bis heute fehlen Treffpunkte in der Gegend. Das Bürgerhaus will diese Lücke schließen und ist mit 25.000 Besuchern jährlich auf einem guten Weg, allein zum Sommerfest kommen mehrere hundert Leute. „Andere Orte, an denen die Nachbarn mal zusammenkommen, gibt es nur noch wenige, die älteren und Familien setzen sich in die Gartenkneipen, die Jugend trifft sich am Buna-Brunnen oder auf dem Weiten Feld“, sagt René Moses.

Der Buna-Brunnen ist eine Art Wahrzeichen des Viertels. „Fast wäre ich mal in eines der drei Hochhäuser direkt neben dem Brunnen gezogen“, so der Sozialarbeiter. Hoch oben hätte man einen guten Ausblick, dachte er. Und dort sei es ruhiger als unten an der Merseburger Straße, die der Gegend pausenlos ihr Hintergrundrauschen verpasst.

„Die große Straße unterteilt das Viertel irgendwie auch: Es gibt die Buna-Siedlung, die Roßbachsiedlung an der Roßbachstraße und den Rest.“ Hier wie da lasse es sich gut und ruhig leben. Grünstreifen und Alleen schmücken die behütete Gegend. „Wer ein pralles Kulturprogramm will, muss in die Stadt reinfahren“, sagt Moses. Noch ist das Viertel unterhalb des Radars großer Investoren. Es gibt Sanierungen und neue Geschäfte, dennoch sind die Mieten bezahlbar und die Nachbarschaft sauber und „ordentlich“. (mz)