Brauch Brauch: Die Seufzerbrücke von Halle
Halle (Saale)/MZ. - Halles Verliebte haben ihre Wahl getroffen: Ausgerechnet die kleine, unscheinbare Schafbrücke am Park des Gutes Gimritz nutzen immer mehr Paare, um einander ihre Liebe zu schwören. Sie befestigen dafür einfach ein mit ihren Initialen versehenes handelsübliches Vorhängeschloss am Brückengeländer - und werfen den Schlüssel in die Wilde Saale. Die ist zwar weder wild noch tief, dennoch liegt der Schlüssel dort sicher, unwiederbringlich, auf ewig eben.
"Seit ein, zwei Jahren tauchen immer mehr Schlösser an unseren Brücken auf," sagt Frank Gunkel, im Rathaus für städtische Brücken zuständig. Beliebt seien neben Spitzenreiter Schafbrücke vor allem die Geländer von Hafenbahn-, Peißnitz- und Schwanenbrücke. Mithin also jene Bauwerke im Grünen, die noch am ehesten die Anforderungen an Romantik erfüllen. Auf der kleinen Schafbrücke sind derzeit 30 Schlösser festgemacht. "Andreas Anke 25. 2. 2010", steht auf einem. Ob die beiden noch zusammen sind? Oder "Ricky und Flori", von einem schwungvollen Herz umrahmt?
Längst wittert auch das Handwerk ein Geschäft mit dem stählernen Treueschwüren. Bei Stempel-Pfautsch in der Talamtstraße etwa hängt als Angebotswerbung ein Vorhängeschloss im Schaufenster: "Meinem liebsten Schatz" ist darauf graviert. "Jetzt im Frühling kommen immer mehr Paare, die sich Schlösser gravieren lassen", sagt Astrid Pfautsch-Alter. Inzwischen bietet sie sogar ein Liebesschwur-Paket an: 14,50 Euro für Schloss und Gravur.
Noch ist die Zahl dieser "Love Padlocks" in Halle ausgesprochen überschaubar. Doch das kann sich schnell ändern, wie die Kulturwissenschaftlerin Dagmar Hänel weiß. "Wir haben 2008 an der Kölner Hohenzollernbrücke über den Rhein die ersten Schlösser fotografiert: 15 Stück. Heute sind es schätzungsweise 40 000!" Inzwischen werde der Liebes-Brauch bereits ironisch gebrochen: Es tauchten immer mehr Zahlen-Schlösser auf - einfach wieder zu lösen und wiederverwendbar, falls es mit der Liebe Essig sein sollte.
In Zeiten von Umweltschutz ersetzt das Metallschloss das in die Baumrinde geritzte Herz. Die Ewigkeits-Aussage ist aber die gleiche. "Die Liebes-Schlösser repräsentieren die Sehnsucht nach der einzigen und wahren Liebe", sagt Wissenschaftlerin Hänel. "Für uns ist es faszinierend, das Entstehen eines Brauches beobachten zu können." Noch dazu einer, der sich weltweit rasant ausbreite. Und die Schloss-Sitte ist noch jung. Erst Ende des 20. Jahrhunderts tauchten die Schlösser an ganz verschiedenen Orten auf. Entstanden sei der Brauch vermutlich in Italien oder im Baltikum. Dort sind die Schlösser inzwischen festes Ritual bei Hochzeiten. Strittig ist hingegen die Legende, nach der die Liebes-Schloss-Mode an der Ponte Milvio in Rom entstanden ist. Dort hängen inzwischen derart viele Schlösser, dass Roms Oberbürgermeister vor einigen Tagen ankündigte, die Schlösser zu verbannen, um das antike Bauwerk zu schützen.
In Halles Rathaus sieht man die Ausbreitung der Schlösser an Brücken noch ganz entspannt. "Wir lassen die Schlösser zunächst alle hängen. Erst wenn die Brückengeländer gestrichen werden, müssen sie verschwinden", so Frank Gunkel.
Doch warum nur wurde ausgerechnet die eher unansehnliche Schafbrücke zu Halles Liebesseufzer-Brücke? Hat dies etwas mit dem schafgleichen geistigen Zustand zu tun, in dem Verliebte sich befinden? Die einfache Erklärung ist wohl: Die Wege der Liebe sind unergründlich.