Flak in Halles Süden Blindgänger auf der Silberhöhe: Sollten die Bomben damals das Orgacid-Gelände treffen?
Die Fotos eines Hallensers zeigen den Alltag an den Geschützstellungen auf der heutigen Silberhöhe. Der ehemalige Flakhelfer erzählt über seine Erinnerungen aus der Kriegszeit.

Halle/MZ - Hans-Dieter Haubenreißer war 16 Jahre alt, als er am 18. Mai 1943 als Flakhelfer an die südliche Stadtgrenze Halles beordert wurde. Dort, auf der heutigen Silberhöhe, standen zwei mächtige Geschütze. „Aus seinen Schilderungen weiß ich, dass sich die Flak genau dort befanden, wo heute das Nachwuchsfußball-Leistungszentrum gebaut wird“, sagt Valentin Erdmann.
Luftangriffe auf Halle: 64 B-24-Bomber der Air Force flogen Angriffe auf den Norden Halles
Er ist seit seiner Kindheit mit Haubenreißer eng befreundet gewesen. Dass auf dem Areal an der Karlsruher Allee - im Zweiten Weltkrieg freies Feld - mittlerweile elf Fliegerbomben gefunden worden sind, wundert Erdmann nicht. „Allerdings fragt man sich schon, warum derart viele Bomben nicht explodiert sind. Vielleicht war die Zündercharge nicht in Ordnung“, meint der Hallenser.

Erdmann hat ein Fotoalbum von Haubenreißer in seinem Besitz. Der Schüler hatte - wenn man es so sagen kann - Glück als Flakhelfer. Bis zum 21. März 1944 diente er an der Stellung, danach ging er zur Kriegsmarine. Am 7. Juli, kurz nach seinem Abschied von der Flak, flogen 64 B-24-Bomber der Air Force Angriffe auf den Norden Halles. Ihr Ziel: die Siebel-Flugzeugwerke. Das schreiben Ernst Ludwig Bock und Werner Piechocki in ihren Chroniken über die Luftangriffe auf die Stadt.
Soldaten der Wehrmacht lebten direkt an den Geschützen
Der Süden Halles wurde demnach am 25. November 1944 erstmals direkt aus der Luft attackiert. Am Ostersamstag, dem 31. März, erlebte die Stadt die schwersten Angriffe. 369 B-17-Bomber warfen etwa 1.069 Tonnen Spreng- und Brandbomben über dem Stadtgebiet ab. 796 Menschen starben. Davon ist auf den Fotos von Haubenreißer nichts zu sehen. Sie zeigen junge Flakhelfer, die eine Abfallgrube ausheben, Munition putzen, am Geschütz „Friedrich“ trainieren, Weihnachten und Silvester in Holzbaracken feiern. Aus den Gesichtern der Kinder, die Nazi-Deutschland in den Krieg schickte, spricht noch die Naivität.

„Mein Bekannter hatte von seinem Vorgesetzten die Erlaubnis bekommen, zu fotografieren. Ansonsten waren Aufnahmen von militärischen Anlagen natürlich streng verboten“, erzählt Erdmann. Zwar hatten die Soldaten ganz in der Nähe in Wörmlitz ihre Kaserne. Tatsächlich lebten sie aber direkt an den Geschützen. „So sollten sie sofort einsatzbereit sein“, sagt Erdmann. Haubenreißer geriet später übrigens in Gefangenschaft - durfte aber wieder nach Hause. „Er war jung. Das ist sein Vorteil gewesen“, so Erdmann, der in der DDR übrigens den Wehrdienst verweigerte.
Sollten die Bomben auch das Orgacid-Gelände treffen?
Auch Erich Gadde aus Ammendorf, Sprecher der Bürgerinitiative und Heimatforscher, beschäftigen die Bombenfunde auf der Silberhöhe. Er sieht einen Zusammenhang mit der Orgacid-Fabrik. Im Zweiten Weltkrieg war das Werk die zweitgrößte Fabrik für chemische Waffen in Deutschland. Bis 1942 sollen 26.000 Tonnen Senfgas produziert worden sein. „Es ist davon auszugehen, dass die Alliierten diese Fabrik zerstören wollten“, sagt Gadde und glaubt, Belege gefunden zu haben. Gadde bezieht sich auf die Zeittafel, die Jürgen Lange, vonden Ammendorfer Heimatfreunden, erstellte.

Lange hat die Bombentreffer dokumentiert: den Rosengarten, das Straßenbahndepot in Ammendorf, den Hochbunker hinter der Post, die Holzhandlung Hildebrandt, die Brikettfabrik, die Siedlung am Leunaweg, die chemische Fabrik von Julius Jakob. „Hätten die Bomben das Orgacid-Werk getroffen, wäre es je nach Windrichtung in Halle zu einer unbeschreiblichen Katastrophe gekommen“, sagt Gadde. Allein im November 1944 sollen 300 Bomben nur auf Radewell abgeworfen worden sein.