Ausstellung in der Zeitkunstgalerie Ausstellung in der Zeitkunstgalerie: Rätselhafte Wesen mit W

Halle (Saale) - Die Frage nach dem Morgen ist eine der meist gestellten - nicht zuletzt in der Kunst. Was kommt danach?, lautet sie. Und sie konkurriert beim Kampf um Aufmerksamkeit - auch bei Künstlern und Kunstfreunden - mit dem sogenannten Thema Nummer eins, das sich um die Geschlechter mit all ihren Kämpfen und Versöhnungen und um deren ewige Rätselhaftigkeit dreht. Beide Themen lassen sich übrigens auch gelegentlich kombinieren - in der Frage „nach dem Morgen danach“.
Ein Werk des halleschen Künstlers Klaus Friedrich Messerschmidt in seiner neuen Schau „Weibergeschichten“ in der Zeitkunstgalerie scheint genau das vorzuführen: Seine kühle Morgengöttin namens „Aurora im Morgenwind“ erinnert mit ihrem strengen Blick nämlich fast automatisch an den alten Schlager „Lass die Morgensonne endlich untergehen!“
Es ist ein souveräner, oft auch leise ironischer Blick, den dieser wichtige hallesche Künstler hier auf die beiden erst genannten Fragen und Themen eröffnet. Großen Raum nimmt in seiner Schau - auch aus Gründen der Großformatigkeit - der vierteilige Zyklus zur „Versuchung des heiligen Antonius“ ein. Ein Bild daraus, mit in sehr plastischen Figuren dargestellten Szenen - Bildhauerbilder eben -, trägt den Untertitel „... Mysterium extremer Frauenbewegung“. Messerschmidts Antonius gerät dabei in ein Knäuel aus mehreren Akteurinnen, die ihre Weiblichkeit sehr unbekümmert präsentieren. Und er gerät in die Rolle eines, ja, fast schon atemlosen Spanners - wofür die ihn umgebenden Damen natürlich rein gar nichts können.
Kleine Männer, große Frauen
„Da biste platt, Toni“, scheint der Künstler seinem armen, von derart viel Erotik um sich rum gebeutelten Heiligen zuzurufen. Doch es bleibt die Frage, was die rätselhaften Wesen in Messerschmidts „Weibergeschichten“ - all diese großen, kühlen Frauen - den meist kleinen, grauen Männern schon durch ihre bloße Präsenz antun. Wie sie die von allem Nützlichen und Dringlichen vollständig abzulenken und abzuhalten verstehen. Und die Frage, die Kunst dann vielleicht auch mal beantworten sollte, müsste lauten: Mädels, warum tut ihr das diesen armen Männern an? Doch beim Blick in Messerschmidts stolze Frauengesichter scheint es darauf von deren Seite nur eine lapidare Antwort zu geben: „Weil wir es können!“
„Es können“ auf der einen Seite und „platt sein darüber“ anderseits, das ist am Ende auch das Stichwort für den Gesamteindruck dieser Schau - angesichts der schieren kreativen Omnipotenz von Klaus-Friedrich Messerschmidt - als Zeichner und Grafiker in vielerlei Technik und als Plastiker - und sogar als Autor.
Von Haus aus Bildhauer ist der hallesche Künstler Klaus Friedrich Messerschmidt. Vor 70 Jahren geboren, absolvierte er die Fachschule für angewandte Kunst in Schneeberg und Halles Kunsthochschule Burg Giebichenstein, schuf zahlreiche große Holzskulpturen und Altäre sowie Denkmäler unter anderem für Friedrich Nietzsche, Thomas Müntzer und die „Timberwölfe“, die im Zweiten Weltkrieg unter anderem Halle befreiten. Auch schriftstellerisch ist Messerschmidt aktiv und hat bereits zwei Bände seiner Autobiografie im Mitteldeutschen Verlag (mdv) veröffentlicht: „Die Angst der Spaßmacher - Fortlaufende Erinnerungen“ und „Das sprechende Auge“.
Aber dieses eindrucksvolle „Alles“ verstellt dann doch ein wenig den Blick darauf, was bei diesem Künstler das Spezielle, das unverwechselbare Eine und ganz Eigene sein könnte. Oder ist dies vielleicht nur ein Problem der Auswahl und Präsentation bei dieser Schau?
Von der Politik inspiriert
Wie auch immer. Einmal, vor reichlich zwei Jahren, hat eine sehr bekannte Arbeit von Messerschmidt dem Autor dieser Zeilen ziemlich aus der Patsche geholfen. Ja, richtige Kunst kann auch so was! Und deshalb sei diese persönliche Episode hier ausnahmsweise mal erlaubt: Es war der Abend nach der jüngsten Bundestagswahl - und ich hatte von der Stimmenauszählung im hiesigen Stadthaus zu berichten. Aber schnell wurde klar, dass an diesem Abend gar nichts klar sein würde - hinsichtlich der Frage, wer künftig mit wem regieren darf. Was also sollte man darüber schreiben, was beschreiben in der Zeit der Unklarheit, die bis tief in die Nacht anzudauern drohte?
Doch zum Glück lud im Treppenhaus des Stadthauses ein tolles Kunstwerk - die Holzplastik „Sangerhäuser Pietà“ von Messerschmidt - zum Betrachten ein: eine Gottesmutter mit Sheriff-Hut und einem großen, leblosen Christus-Körper auf den Knien. An diesem Abend schien das plötzlich ein Gleichnis für die politische Patt-Situation zu sein: Für die Bundeskanzlerin als Schmerzensmutter, die ihren im Sterben liegenden oder vielleicht schon toten Koalitionspartner FDP im Arm hält.
Ein Bild der Trauer bei gleichzeitigem Blick nach vorn bot sich dem Auge dar: So ist das also mit der Politik, konnte man damals angesichts dieser Szene denken - und mein Abend war gerettet! Aber auch ganz anderes lässt sich vor dieser Pietà - die als Zeichnung in der Schau bei „Zeitkunst“ hängt - assoziieren: Ja, so ist das bei diesen Rätselwesen mit W vorn: Sie können gleichzeitig festhalten und loslassen, trauern und zugleich auch schon wieder nach vorn schauen.
Blicke übers Dilemma hinaus
Und ähnliches lässt sich aus einem Kunstwerk wie diesem sogar ganz allgemein darüber ablesen, was Kunst können sollte: aufzeigen, was ist und was sich nicht ändern lässt - zum Beispiel. Aber auch Einblicke und Ausblicke ermöglichen, die über das dargestellte Dilemma jeweils hinaus weisen.
Ausstellung bis 20. Februar in der Galerie in der Kleinen Marktstraße 4, geöffnet dienstags bis freitags ab 11 Uhr, samstags ab 10 Uhr.
