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An 80 Zäunen um die Welt An 80 Zäunen um die Welt: Auf den Spuren der "Halle/S."-Fahne

Von CHRISTOPH KARPE UND STEFFEN KÖNAU 11.06.2010, 17:13

Halle (Saale) - Beim ersten Mal war es noch Verwunderung. Beim zweiten dann Staunen. Gordon Böhme erinnert sich heute nicht mehr genau, wann ihm die Fahne so richtig aufgefallen ist. Jahre her jedenfalls, dass sie bei den Spielen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft vom Zaun grüßte.

"Halle / S." stand da, nicht einmal, sondern immer - und meistens so platziert, dass der Schriftzug ins Auge sprang. "Irgendwann habe ich danach gegoogelt", erzählt Böhme. Doch viel war da nicht. "Nur mit Mühe habe ich eine einzige Erwähnung gefunden", sagt der 29-Jährige aus der Saalekreisgemeinde Kabelsketal.

Gordon Böhme folgt der Spur der Fahne

Seitdem folgt Gordon Böhme, hauptberuflich Gründer und Chef einer halleschen Internetfirma, der Spur der Halle-Fahne: Beim 1:1 der Deutschen in China hängt sie hinter dem Tor. Bei Michael Ballacks Elfmeter gegen Aserbaidschan fliegt der Ball genau in ihre Richtung. Im Länderspiel gegen England ist sie schräg gespannt, beim grauenhaften Kick der deutschen Mannschaft gegen Finnland dagegen wieder direkt hinter dem Tor.

In welchem WM-Spiel die Fahne sogar eine Viertelstunde zu sehen war, erfahren Sie auf Seite 2.

Während der Weltmeisterschaft 2002 ist sie ebenso zu sehen wie bei der EM 2004, bei Qualifikationsspielen bis hinauf nach Island, bei Freundschaftsmatches oder Begegnungen der Nachwuchsnationalmannschaft. Halle, als Fußballhochburg in der 4. Liga ein kleines Licht, spielt über die Fahne mit im Weltfußball - kein Spiel vergeht ohne das prägnante Banner, das nach Ansicht eines Internetblogs "mehr für Halles Ruf in der Fußballwelt getan hat als alle Verbandsfunktionäre zusammen".

Lehmanns Zettel und die "Halle/S."-Fahne

"Mittlerweile ist es bei uns eine eigene Sportart, bei jedem Spiel nach der Halle-Fahne zu suchen", beschreibt Gordon Böhme, der eine ganze Sammlung von Fahnenfotos aus aller Herrn Länder auf seiner Internetseite zusammengetragen hat. "Man kann sich immer darauf verlassen, dass sie da ist", sagt er. Und immer in bester Kamerasicht, immer auf Ballhöhe: Im Viertelfinale der Heim-WM 2006, als Torwart Jens Lehmann mit dem Zettel im Handschuh den 5:3-Sieg im Elfmeterschießen festhielt, war die Halle / S.-Fahne eine Viertelstunde lang im Bild. Durch den Film "Ein Sommermärchen" wurde die Szene unsterblich: Halle im Halbfinale vor mehr als einer Milliarde Zuschauern.

Über die Spekulationen, wer die Fahne platziert, lesen Sie auf Seite 3.

Wollte das Stadtmarketing solche Werbung kaufen, müsste das klamme Rathaus Millionen auf den Tisch legen. Wer die Männer hinter dem Banner sind, die anscheinend ruhelos um den Erdball jetten, um ihre Halle-Botschaft über Stadionzäune zwischen Moldawien und Kap Hoorn zu hängen, haben auch die eifrigsten Späher nach Spuren der Weltreisenden in Sachen Halle-Werbung nicht herausbekommen. Ein früherer HFC-Spieler sei dabei, spekulieren HFC-Fans; ein Ex-Hallenser, der jetzt in Filderstadt wohne, will jemand beim Ortskonkurrenten VfL wissen.

Fahnenforscher Böhme geht von zwei Hallensern aus, die eigentlich Fans von Union Berlin sind, denn dort hänge die Halle-Fahne häufiger. "Ich habe immer wieder Mails mit entsprechenden Hinweisen erhalten", erzählt der führende Fahnensammler. Danach seien die Fahnenträger frühere Hallenser, die inzwischen in Leipzig und Potsdam leben, der alten Heimat aber per Spruchband weiter die Treue halten.

Geständnis unter falschem Namen

Und augenscheinlich wenig Lust verspüren, über ihr wunderliches Hobby zu sprechen. "Wir haben keinerlei Interesse an Berichten zur Fahne oder zu unseren Personen", versichert Alexander Rabe, der seinen richtigen Namen nirgendwo erwähnt sehen will. Dass an der Fahne und den Personen hinter ihr ein gesteigertes Interesse der Öffentlichkeit bestehe, nehme er "wohlwollend zur Kenntnis". Aber für Auskünfte stehe man nicht zur Verfügung. "Wir sind nur Fußball-Fans, reisen rum und haben unser Transparent dabei."

Das Rätsel soll eines bleiben, die Fahne soll für sich selbst sprechen, wie sie das seit 1997 getan hat. Damals begannen Rabe und sein Freund, der Tobias Möhring genannt werden möchte, zu Fußballspielen zu fahren und dabei eine Fahne aufzuhängen. Die war anfangs Weiß auf Schwarz mit "Halle / S." beschriftet. Später nähte Möhrings Oma eine neue, nun mit schwarzen Buchstaben auf weißem Grund. Da waren die Fahnenträger schon festes Inventar in jedem Stadion, in dem die deutsche Elf gastierte: "In den letzten Jahren haben wir kein Spiel mehr verpasst", erzählt Möhring, wie sein Kollege 30 Jahre alt und spürbar stolz auf die absolvierte Baumwoll-Welttournee, bei der die Fahne schon an weit über 80 Stadionzäunen hängen durfte. Sogar zum Weltpokal-Finale nach Tokio habe er das zehn Quadratmeter große Stück Stoff schon geschleppt.

Wie die Männer an die Tickets kommen, erfahren Sie auf Seite 4.

Die Fahne, seit dem Abschied des früheren Hallensers Dariusz Wosz aus dem Nationalteam einziger Beitrag Sachsen-Anhalts zum deutschen Spitzenfußball, hat inzwischen mehr Länderspieleinsätze als Mannschaftskapitän Philipp Lahm oder Mittelfeldmotor Bastian Schweinsteiger. Dabei gehört einiges dazu, hier oben in der Champions League der Groundhopper mitzumischen, wo Transparente-Klassiker wie "Air Bäron" und "Thalheim" ihre Fahnen stets dort platzieren, wo sie am besten gesehen werden. Einmal etwa ist das Halle / S-Team in Dublin bei der U21-Auswahl gewesen und von dort direkt nach Düsseldorf weitergeflogen, um die Fahne beim Spiel gegen Norwegen aufzuhängen. Das Spiel war schlecht, die Deutschen verloren. Aber das "Halle / S." war gut zu sehen.

Dass die beiden Halle-Botschafter selbst schon lange nicht mehr an der Saale leben, ändert nichts an ihrer Verbundenheit mit der Stadt. "Halle ist unsere Heimat, wir sind stolz auf sie, und das zeigen wir halt", sagt Tobias Möhring.

Teure Einsätze im Ausland

Wo immer es möglich ist. An die raren Tickets kommt die Truppe über den "Fan-Club Deutsche Nationalmannschaft" beim Deutschen Fußball-Bund. "Dort kennt man uns, das erleichtert vieles", sagt Alexander Rabe, der in Leipzig als Kundenbetreuer für Telekommunikations-Firmen arbeitet. Die Flugtickets besorgt Möhring, der am Flughafen in Stuttgart an der Quelle sitzt.

Trotzdem gehen für eine Ausland-Tour schon mal 1 000 Euro drauf - da heißt es in der spielfreien Zeit konsequent sparen. Schließlich ist nach dem Spiel immer vor dem nächsten und zwischendurch kommen dann auch noch Turniere wie die WM in Südafrika, die noch aufwendiger vorzubereiten sind. "Die WM wird ein richtiges Highlight", freut sich Tobias Möhring schon. Mögen der Torwart, der Kapitän und der Abwehrrecke auch ausgefallen sein - die Halle / S.-Fahne ist da, wie immer.

Am Sonntag, beim ersten Spiel der deutschen Elf gegen Australien, hat das Banner aus Halle seinen ersten Afrika-Einsatz, zwei weitere folgen mindestens. Die beiden Fahnenträger aber sind selbstverständlich auf noch vielmehr vorbereitet: "Wir haben Team-Tickets", sagt Alexander Rabe, "wir werden die DFB-Elf begleiten, solange sie im Turnier ist." (mz)