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Aids von Corona verdrängt?  Aids von Corona verdrängt? : "HIV ist nicht mehr das Todesurteil das es einmal war"

Von Denny Kleindienst 07.07.2020, 11:45
Martin Thiele ist Geschäftsführer der „personell jüngsten Aidshilfe in Deutschland“, wie er sagt.
Martin Thiele ist Geschäftsführer der „personell jüngsten Aidshilfe in Deutschland“, wie er sagt. Denny Kleindienst

Halle (Saale) - „Klar gibt es Parallelen“, sagt Martin Thiele. Laut Geschäftsführer der Aidshilfe Halle/Sachsen-Anhalt Süd hat man es sowohl beim neuartigen Coronavirus wie auch bei HIV mit einer Pandemie zu tun. Mit Infektionskrankheiten also, die sich weltweit verbreitet haben. Die Parallele sieht Thiele aber vor allem darin, wie die Menschen reagieren. Er spricht von „irrationalen Ängsten“ und davon, dass infizierte Personen sozial ausgegrenzt werden.

Der 34-jährige Erziehungswissenschaftler sieht aber vor allem den großen Unterschied: Das Coronavirus ist im Alltag übertragbar. Beim HI-Virus ist die Übertragung sehr viel schwieriger. Es braucht den Kontakt mit Körperflüssigkeiten (Blut, Sperma, Vaginalsekret, Muttermilch).

Um die tausend Menschen mit HIV leben im Land

In Deutschland gab es nach Angaben des Robert Koch Instituts 2018 schätzungsweise 88.000 HIV-Infizierte und etwa 2.400 Neuinfektionen. Die Infektionszahlen gehen zurück. In Sachsen-Anhalt gibt es relativ wenig Betroffene. Um die tausend Menschen mit HIV leben im Land.

Das Problem in Sachsen-Anhalt ist: „Es gibt trotzdem noch relativ viele Aids-Erkrankungen.“ Laut Thiele nämlich bei 25 Prozent der Diagnosen. Das liege daran, dass die Leute viel zu spät getestet werden. Leute, wie Thiele sagt, bei denen eine HIV-Infektion nicht vermutet wird, etwa heterosexuelle ältere Frauen. „Es gibt viele Ärzte, die wissen nicht Bescheid.“ Obwohl es Anzeichen gibt, die auf eine HIV-Infektion hindeuten. Bestimmte Pilzerkrankungen zum Beispiel oder eine Gürtelrose.

Test entweder „negativ“ oder „reaktiv“

Noch dazu ist ein HIV-Test ziemlich einfach. Schnelltests gibt es sogar in der Apotheke. Ein Tropfen Blut wird dabei abgegeben und nach einer halben Stunde zeigt der Test entweder „negativ“ oder „reaktiv“ an. Im letzteren Fall könnte eine Infektion vorliegen, und es braucht dann einen zusätzlichen Bluttest im Labor.

Martin Thiele sagt: „HIV ist nicht mehr das Todesurteil, das es einmal war.“ Er spricht gar von einer medizinischen Revolution, die es in den 90er Jahren gab. Wenn die Infektion rechtzeitig erkannt wird, „ist HIV richtig gut behandelbar“. So gibt es inzwischen eine ganze Reihe von Medikamenten. Es gibt sogar Tabletten, die vorsorglich genommen werden und eine Infektion bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr verhindern.

HIV-Infizierte, die behandelt werden, erkranken in der Regel auch nicht an Aids

HIV-Infizierte, die behandelt werden, erkranken Thiele zufolge in der Regel auch nicht an Aids. Und wenn das Virus dank der Behandlung unter die Nachweisgrenze kommt, kann es auch nicht mehr weiter gegeben werden. Das ist die Revolution, die der Aids-Berater meint. HIV-Infizierte können heutzutage „ein völlig normales, gesundheitlich problemloses Leben führen“.

Dennoch würden Menschen mit HIV noch häufig diskriminiert, insbesondere in der Pflege und im Gesundheitsbereich, wie Thiele sagt. Wenn etwa Pflegekräfte extra zwei Paar Handschuhe anziehen oder die Behandlung ganz verweigert wird. Wenn der Zahnarzt nur den Randtermin anbietet zum Ende des Tages und danach alles desinfiziert. Thiele nennt das „Alltagserniedrigung“.

„Wir sind noch lange nicht am Ende von Aids.“

Der Geschäftsführer der halleschen Aidshilfe stellt aber auch klar: „Wir sind noch lange nicht am Ende von Aids.“ Thiele selbst berät hauptsächlich bisexuelle und schwule Männer. Er geht dafür auch zu „öffentlichen Klappen“. Damit sind etwa Toiletten gemeint, in denen Männer häufig ungeschützten Sex miteinander haben. Aufklärungsbedarf sieht er derweil noch bei Geflüchteten aus Ländern mit hoher HIV-Rate oder auch bei Gefängnisinsassen, von denen viele Drogen nehmen. (mz)

HIV-Schnelltests gibt es in der Apotheke.
HIV-Schnelltests gibt es in der Apotheke.
Denny Kleindienst