90. Geburtstag 90. Geburtstag: Mit Ständchen überrascht
Halle/MZ. - Dass Schüler für Lehrer ein Lied singen, dürfte ab und an vorkommen. Dass aber die Schüler schon im Rentenalter sind und extra aus ganz Deutschland anreisen, um ihrer Klassenlehrerin ein Ständchen zum 90. Geburtstag zu bringen, dürfte wohl einmalig sein. Am Sonntagabend sangen die "Buben" der Giebichensteinschule / Brunnenschule vor dem Haus von Ruth Richter in der Hegelstraße "Sah ein Knab' ein Röslein stehn" und "Am Brunnen vor dem Tore". Dabei schwenkten sie Laternen und Wunderkerzen.
"Ich bin gerührt und freue mich sehr", sagte Frau Richter, die aus dem Fenster schaute. Die hochbetagte Lehrerin, die das Haus aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verlassen kann, wusste zwar, dass "ihre" Jungen, die sie von der vierten bis zur achten Klasse in fast allen Fächern unterrichtet hatte, eine Überraschung planten: "Aber auf solch ein festliches Ständchen war ich nicht gefasst." Das wiederum freute die Sänger.
Der Kontakt zwischen Lehrerin und Schülern, ihrer "allerersten und liebsten Klasse", wie sie sagte, war nie abgerissen. Denn schon ein Jahr nach Beendigung der Grundschule, 1956, traf sich die 30-köpfige Jungen-Klasse - zumeist in der Gosenschänke oder auf dem Felsensportplatz. Und immer war Ruth Richter mit von der Partie, die später liebevoll von den "Ehemaligen" "Ruthchen" genannt wurde.
Die Männer vom Jahrgang 1940 / 41 schwärmen heute noch von ihr. "Sie hat uns den Pythagoras-Satz in Mathe gelehrt, mit uns den "Faust" in Deutsch gelesen und im Sport die Hechtrolle geübt", erinnerte sich der Münchner Arzt Peter Model, der schon zu DDR-Zeiten keines der Treffen versäumte.
Und Bernd Apitz, den es nach Roßlau verschlagen hat, sprach von einem "guten Draht, den wir von je her füreinander hatten". Schon damals hätten Schüler die Lehrerin besucht, wenn sie krank war, sagte der Mann, der auch Lehrer war und jetzt im Ruhestand lebt. Sie wiederum habe sich mehr als andere Lehrer um ihre Schützlinge gekümmert, von denen rund ein Drittel nach der achten Klasse die Thomas-Müntzer-Oberschule besuchte. Aus jedem sei "etwas ordentliches geworden", so Apitz.
Natürlich heckten die Jungen auch Streiche aus, Musterknaben waren sie nicht. Manchmal sei das nahe Rive-Ufer interessanter als eine Schulstunde gewesen, so Bernd Apitz. Und ein mit Wachs eingeriebener Ofen im Klassenzimmer verpestete eines Tages die Luft dermaßen gründlich, dass an Unterricht zumindest eine Stunde lang nicht mehr zu denken gewesen sei.
Ruth Richter, die selbst zwei Söhne hat, verfolgte die Wege ihrer Schüler fast 50 Jahre lang, kennt Namen und Lebenswege genau. Und bis heute bekommt jeder der "Jungen", die selbst schon Enkel haben, zum Geburtstag eine Karte oder ein Anruf, vergessen wird keiner.
Extra geübt hatten die Sänger das Ständchen übrigens nicht. Da sie sich aber nicht nur zu Beginn eines jeden Jahres treffen, sondern auch noch einmal im Jahr wandern, waren sie sich sicher, dass es klappt. Zum Schluss bekamen sie von Ruth Richter sowie von den Nachbarn Applaus, denen der ungewöhnliche Sonntagabend-Gesang nicht verborgen geblieben war.
Die Jubilarin, die ihre ehemaligen Schüler auch in Musik unterrichtet hatte und bis 1972 an der August-Hermann-Francke-Oberschule arbeitete, lud die Gratulanten anschließend ein, mit ihr anzustoßen. Danach machten sich die Männer auf den Weg zu ihrem Klassentreffen - dem mittlerweile 49.