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Publikum in der Rolle der Schöffen Publikum in der Rolle der Schöffen: Eisleber Theater führt Stück im Amtsgericht auf

Von Detlef Liedmann 16.08.2017, 11:58
Bald Schauplatz eines Schauspiels: Das Amtsgericht in Eisleben
Bald Schauplatz eines Schauspiels: Das Amtsgericht in Eisleben Archiv/Lukaschek

Eisleben - Die Besetzungsliste steht längst fest und die Konzeptionsprobe folgt am Donnerstag. Das ist nichts Ungewöhnliches fünf Wochen vor einer Premiere. Ungewöhnlich ist der Ort der Premiere. Erstmals in der fast 65-jährigen Geschichte des Eisleber Theaters spielt das Ensemble im Amtsgericht der Lutherstadt. Auf dem Plan steht das Stück „Terror“ nach Ferdinand von Schirach. Und genau deshalb wurde das Amtsgericht als Spielort gewählt.

Zuschauer des Theaterstücks schlüpfen in die Rollen der Schöffen

Denn in dem Stück steht ein Luftwaffenpilot unter Anklage. Entgegen der Befehle hat er eine von Terroristen gekaperte Passagiermaschine nicht vom Kurs abgedrängt, sondern abgeschossen. So werden die Premierenbesucher am 23. September nicht nur Zuschauer sein, sie sind zugleich die Schöffen und fällen ihr Urteil.

„Mit unseren Aufführungen im Amtsgericht betreten wir für uns absolutes Neuland“, sagt Intendant Ulrich Fischer, der in der Eisleber Inszenierung auch Regie führt. Denn nicht nur die Premiere und zwei weitere Vorstellungen stehen im Haus am Siegfried-Berger-Weg an. Auch ein Teil der Endproben findet dort statt. Und weil das nicht bei laufendem Geschäftsbetrieb möglich ist, müsse da zeitlich exakt geplant werden.

Die Entscheidung, gerade dieses Stück in den Spielplan zu nehmen, ist laut Intendant Fischer aus mehreren Gründen gefallen. „Ich habe das Buch schon gelesen, bevor es fürs Fernsehen verfilmt wurde. Es ist gut geschrieben, spannend und hat, wie wir nicht erst seit heute wissen, einen aktuellen zeitgeschichtlichen Bezug. Und außerdem wollte ich schon immer mal was machen, wo der Ausgang offen ist“, sagt Fischer. Denn der Urteilsspruch richte sich ja nach dem Votum des Publikums.

Bauarbeiten am Eisleber Theater: Amtsgericht als Ausweichspielstätte für Theateraufführungen

Mit dem Wunsch, in einem Verhandlungssaal zu spielen, sei er bei Amtsgerichtsdirektor Steffen Lutz offene Türen eingerannt. „Weil wir nicht wissen, wie lange die Bauarbeiten bei uns am Haus dauern, haben wir uns nach einer Ausweichspielstätte umgesehen“, so Fischer. Und was passe in diesem Fall besser als ein Verhandlungssaal. Weil der aber nur 70 Zuschauer fasst, gibt es von „Terror“ einen Premierenkomplex mit drei Aufführungen. Einige Details zu Abläufen im Haus seien noch zu klären, hieß es aus dem Amtsgericht.

An 57 Theatern in Deutschland wurde respektive wird das Stück „Terror“ gespielt. Geschrieben hat es Ferdinand von Schirach (53), Strafverteidiger, Schriftsteller und Dramatiker. In Deutschland verkauften sich die Bücher Schirachs mehr als 2,5 Millionen Mal. Von Schirach ist Sohn des Münchner Kaufmanns Robert von Schirach und Enkel des NS-Reichsjugendführers Baldur von Schirach und dessen Ehefrau Henriette von Schirach. Einer seiner Urgroßväter war der Intendant des Nationaltheaters in Weimar und des Staatstheaters Wiesbaden, Carl von Schirach.

Ein anderer seiner Vorfahren ist der Historiker und Schriftsteller Gottlob Benedikt von Schirach, der 1781 die Zeitschrift „Politisches Journal nebst Anzeige von gelehrten und anderen Sachen“ gründete – eine der ersten Zeitschriften in Europa. So spannend wie von Schirachs Vita und die seiner Ahnen könnten also auch die drei Aufführungen im Eisleber Amtsgericht werden. Und die Zuschauer sprechen das Urteil. (mz)