Mobil trotz Handicap Mobil trotz Handicap: Wie es Stefan Kreuzmann hinters Lenkrad schaffte

Hergisdorf - Stefan Kreuzmann ist kein gewöhnlicher Autofahrer. Der 32-Jährige kann kaum Lesen und Schreiben, weil seine kognitiven Fähigkeiten eingeschränkt sind. Das heißt: Sein Gehirn hat Schwierigkeiten, bestimmte Dinge zu erfassen, zu verarbeiten und zu speichern. „Das hat meine Lehrerin schon in der Hettstedter Grundschule gemerkt“, sagt Kreuzmann. „Ich bin geistig behindert.“ Dennoch hatte er einen großen Wunsch: Stefan Kreuzmann wollte den Führerschein machen.
Wer ihm unvoreingenommen gegenüber sitzt und ihn reden hört, merkt nichts von einer Behinderung. Zumal Kreuzmann und seine Mitbewohnerin („Nicht, dass sie denken, ich bin seine Freundin“) am Hergisdorfer Lindenplatz eine eigene kleine Wohnung in ambulanter Betreuung bezogen haben. Von dort hat man einen Blick auf das Wohnheim für behinderte Menschen der Lebenshilfe Mansfelder Land. Bei dem Verein arbeitet Kreuzmann im Bereich Landschaftspflege.
Stefan Kreuzmann will den Führerschein machen - trotz Handicap
Ursprünglich dachte er nur an einen Mofa-Schein, um ein Stück beweglicher und unabhängiger vom öffentlichen Nahverkehr zu sein. Bereits im Jahr 2010 hatte er zum ersten Mal mit einem Betreuer in der Eisleber Fahrschule Kurth vorgesprochen. Heute sagt Kreuzmann: „Es gab viele Zweifler. Und ich habe ja manchmal selbst daran gezweifelt, ob ich das wirklich schaffe.“
Wenn Stefan Kreuzmann dann von seiner praktischen Führerscheinprüfung erzählt, entsteht der Eindruck, sie wäre erst gestern gewesen. Dabei liegt der Tag schon etwas mehr als drei Jahre zurück. Es ist förmlich zu spüren, wie hinter Kreuzmanns Stirn ein Film abläuft. Mithin hatte er viele Jahre auf diesen Tag hingearbeitet. Allein die Vorbereitung auf die Theorieprüfung dauerte fast 24 Monate.
Neben vielen Ermutigern und Unterstützern half ihm dabei ein Computerprogramm, welches die Straßenverkehrsordnung audiovisuell erklärt, Fragen stellt und mögliche Antworten vorgibt. Stefan Kreuzmann hat also vor allem in Bildern gelernt, auch wenn er sagt: „Ein bisschen Lesen und Schreiben kann ich ja.“
Stefan Kreuzmann bestand die theoretische Führerscheinprüfung auf Anhieb
So hat er sich das Frage-Antwort-Spiel ungezählte Male angehört oder angesehen. In der Fahrschule und im Hergisdorfer Wohnheim der Lebenshilfe. Das Programm spielte ihm Michael Bach von der Fahrschule auf. „Bei der Fahrschule waren alle sehr geduldig mit Stefan und haben sehr viel Empathie gezeigt“, sagt Bach.
Doch Kreuzmann bekennt: „Es gab aber auch Tage, da konnte ich mich nicht mehr konzentrieren.“ Trotz aller Widrigkeiten und Hindernisse - die theoretische Prüfung bestand Kreuzmann auf Anhieb. „Ich war aber so aufgeregt, dass ich meine Geldbörse im Prüfungsraum vergessen habe“, erinnert er sich.
Der Theorie folgte die Praxis - und ein herber Rückschlag. „Mein Fahrlehrer ist ganz plötzlich gestorben“, erzählt Kreuzmann und schämt sich seiner Tränen nicht. Nach ein paar Minuten der inneren Einkehr und des Trosts spricht er weiter: „Da war ich kurz davor, alles hinzuschmeißen. Dann war ich auch noch sechs Wochen krank. Aber ich habe mich wieder aufgerappelt.“ Auch dank Fahrlehrer Oleg Steinhauer, der ihn unter seine Fittiche nahm. Dieser denkt nur positiv an seinen besonderen Fahrschüler zurück. „Ich habe nur gute Erinnerungen an ihn und war mit Stefan sehr zufrieden.“
Stefan Kreuzmann erinnert sich noch genau an die Führerscheinprüfung
Am 17. Dezember 2014 war es dann soweit, Stefan Kreuzmann hatte seine Fahrprüfung. „Nach der praktischen Prüfung habe ich ihn und den Prüfer gedrückt“, erinnert sich Kreuzmann. Vieles an diesem Tag hat sich bei ihm eingebrannt. An jeden Punkt der Wegstrecke erinnert er sich, an das Wendemanöver, ans Einparken, die Gefahrenbremsung, das vergessene Einlegen des Ganges und den Kloß im Hals, der immer dicker wurde. „Das ist mir alles wie eine Ewigkeit vorgekommen“, sagt Stefan Kreuzmann.
Dabei waren es nur 45 Minuten. An deren Ende die bestandene Prüfung stand. Nun darf er auch Rasentraktor fahren, strahlt Kreuzmann. „Sogar über Land.“ Normalerweise allerdings fährt er mit seinem Kleinwagen zu seiner Arbeit bei der Lebenshilfe, zum Einkaufen und zurzeit nach Ritterode. Dort macht er bei der Firma Hahn, sie kümmert sich unter anderem um Sanitäranlagen, ein zweiwöchiges Außenpraktikum.
Wie er Führerschein und Auto finanziert hat? „Alles mühevoll abgespart. Ich habe keine Ansprüche.“ Und wenn das Auto mal streiken sollte, habe er ja immer noch seinen Behindertenausweis und auch das Beiblatt für den Bus. (mz)