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Ein Jahr Bonpflicht Ein Jahr Bonpflicht: Thermopapierschlangen bei Bäcker und Co.

Von Annette Schmidt 18.01.2021, 10:41
Unendlich lang schlängeln sich die Kassenbons vor allem dort, wo man nur einzelne Lebensmittel kauft. Das Bild entstand in der Bäckerei Dorn.
Unendlich lang schlängeln sich die Kassenbons vor allem dort, wo man nur einzelne Lebensmittel kauft. Das Bild entstand in der Bäckerei Dorn. Thomas Klitzsch

Wittenberg - „Wollen Sie den Bon haben?“ - Vor einem Jahr wurden Kunden erstmals mit dieser Frage beim Kauf ihrer Frühstücksbrötchen konfrontiert. Die sogenannte Bonpflicht zum 1. Januar 2020 war ein Aufreger-Thema. Es herrschte viel Unsicherheit sowohl bei Kunden als auch bei den Geschäftsleuten, da niemand so recht wusste, was genau auf sie zukommen würde. Viele sorgten sich um eine ausufernde Bürokratie, Müllberge und finanzielle Mehrbelastungen.

Nachweis für Finanzbehörde

Der Hintergrund für diese Belegausgabepflicht war ein effizienter Nachvollzug im steuerpflichtigen Einzelhandel. Das Ziel lag darin, dass ein Kaufgeschäft für die Finanzbehörde lückenlos nachweis- und nachvollziehbar sein sollte. Wobei bis Januar vergangenen Jahres sowieso bereits der Grundsatz galt, kein Zahlungsvorgang ohne Beleg.

Die entscheidende Neuerung war, dass nun auch jedem Kunden ungefragt ein Beleg zur Verfügung gestellt werden musste. Dies hatte vor allem zur Folge, dass die Kassensysteme aufgerüstet beziehungsweise umgestellt werden mussten auf eine zertifizierte technische Sicherheitseinrichtung (TSE).

Vor allem die Bäcker mit ihren vielfach nur Cent-Artikeln wie Brötchen waren ungehalten, dito ihre Kunden. Welche Erfahrungen haben sie seither gemacht? Die MZ hat in diesen Tagen mal eine Stichprobe genommen, und zwar im Geschäft von Bäckermeister Frank Jäger, Wittenbergs bekanntem „Stadtbäcker“. Für dessen mitarbeitende Ehefrau Romy Jäger von der gleichnamigen Bäckerei und Konditorei Jäger ist die Bonpflicht nach einem Jahr immer noch ein Reizthema.

„Wir müssen unsere Kunden fragen, aber 100 Prozent von ihnen sagen Nein“, erklärt Romy Jäger und fügt hinzu, dass sie und ihre Mitarbeiterinnen die Stammkunden schon gar nicht mehr fragen. Sie begründet diese Aussage damit, dass viele ihrer Kunden keine Zettelwirtschaft haben wollen bei einem Einkauf von zwei oder drei Brötchen.

Sie räumt ein, dass es auch Ausnahmen gibt, aber das ist nur der Fall, wenn beispielsweise mit Kollegen oder Nachbarn später abgerechnet werden muss. Das Dilemma bestehe für die Verkäuferinnen darin, dass es keine Mitnahmepflicht aufseiten der Kunden gibt, und so türmen sich die Belege im eigenen Papierkorb. „Ärgerlich darin ist: Wir sind verpflichtet, diese Belege wegen des Thermopapiers gesondert im Restmüll statt im Altpapier zu entsorgen“, berichtet Romy Jäger.

Doch noch weitaus aufwendiger ist für die Geschäftsfrau der Umgang mit den schnell verblassenden Kaufbelegen, wenn sie selbst zur Kundin wird. „Wenn wir für das Geschäft einkaufen, müssen wir alle Belege kopieren, damit wir sie zehn Jahre archivieren können, denn mit den Originalen ist das undenkbar.“

Umstellung durch Fachfirma

Romy Jäger berichtet, dass sie bei den Anschaffungskosten für das Kassensystem noch gut weggekommen seien, da sie bereits vor einigen Jahren moderne Kassen erworben hätten. Aber trotzdem sei ein gewisser finanzieller Aufwand geblieben, da die trotzdem notwendige Umstellung von einer Fachfirma ausgeführt werden musste.

Doch mehr noch als jeder finanzielle Aufwand stört Romy Jäger, „dass wir Geschäftsinhaber unter Generalverdacht gestellt werden. Für jeden Verbrecher gilt die Unschuldsvermutung, aber uns wird in gewisser Weise Betrug unterstellt.“ Diese Annahme vom Gesetzgeber sei nicht nachvollziehbar, trotzdem setzten sie und alle Mitarbeiter der Bäckerei die Vorgaben mit allen Konsequenzen natürlich um. (mz)

Eine Verkäuferin zeigt die übliche Bon-Ausbeute der Bäckerei Jäger.
Eine Verkäuferin zeigt die übliche Bon-Ausbeute der Bäckerei Jäger.
Schmidt