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Bilanz für das Jahr 2020 Wie steht es um die Jugendkriminalität in Dessau-Roßlau?

Polizeirevierleiter Marcus Benedix bilanziert für 2020 476 jugendliche Täter in der Doppelstadt. Warum diese Zahl nicht das Hauptproblem ist.

Von Sylke Kaufhold 17.07.2021, 12:00
Drogen an Schulen sieht die Polizei auch in Dessau-Roßlau als Problem, „Neuköllner Verhältnisse“ gebe es allerdings nicht, so Revierchef Benedix.
Drogen an Schulen sieht die Polizei auch in Dessau-Roßlau als Problem, „Neuköllner Verhältnisse“ gebe es allerdings nicht, so Revierchef Benedix. (Foto: DPA)

Dessau-Roßlau/MZ - Der Großteil der Dessau-Roßlauer Jugend weiß sich zu verhalten. Denn die Zahl der Jugendlichen, die beim „Über-die-Stränge-schlagen“ mit dem Gesetz in Konflikt geraten, war im vorigen Jahr mit 476 relativ gering. Und laut Dessau-Roßlaus Polizeirevierchef Marcus Benedix ist die Zahl im Vergleich zum Jahr 2019 auch leicht gesunken.

Dennoch nimmt die Jugendkriminalität in der Arbeit der örtlichen Kriminalpolizei einen Hauptschwerpunkt ein, verdeutlichte der Revierleiter jüngst im Jugendhilfeausschuss. Denn man wolle bei den Jugendlichen und Heranwachsenden eingreifen, ehe sich die „schiefe Bahn“ verfestigt. Hinzu komme ein wesentlicher Fakt: Zwölf der straffällig gewordenen Jugendlichen gelten mit jeweils mehr als neun Straftaten als Intensivtäter. Auf ihr Konto kommen allein 218 aller durch jugendliche Täter verübten Straftaten.

Das Gros der jugendlichen Straftäter - nämlich 358 - wurde nur einmal polizeiauffällig

„Wir haben bei der Kriminalpolizei einen Bereich, der sich nur um diese Intensivtäter kümmert“, erklärt Benedix. Dass es im vorigen Jahr noch sechs mehr waren, die ihr Unwesen trieben und diese dingfest gemacht werden konnten, schreibt der Revierleiter eben jener Abteilung zu.

Das Gros der jugendlichen Straftäter - nämlich 358 - wurde nur einmal polizeiauffällig. 106 von ihnen probierten es mehrmals, 12 kommen auf rund zehn eigene Straftaten.

In Dessau-Roßlau nahmen die Beamten im vergangenen Jahr 768 Straftaten auf, die von jugendliche Tätern begangenen wurden. Am häufigsten handelte es sich um Raubdelikte, gefolgt von Körperverletzungen, Brandstiftung und Diebstahl. Während diese Delikte im Vergleich zu 2019 rückläufig waren, stieg die Zahl der Rauschgiftdelikte von 27 Prozent in 2019 auf 30,4 Prozent in 2020. „Es vergeht kaum eine Nacht ohne eine solche Feststellung“, teilte der Revierleiter mit. Bei den Drogen habe sich Crystal durchgesetzt. Den Anstieg führt Benedix auf die erhöhte Zahl der Kontrollen zurück. „Dadurch ermitteln wir mehr.“

Ausschussmitglied Gabi Perl (SPD) fragte nach der Drogenproblematik an Schulen

Dass auch die Coronakontaktbeschränkungen die Zahl der Delikte minimiert haben könnte, will Benedix nicht ganz ausschließen. Beim Ladendiebstahl zum Beispiel. „Aber nicht alle Gruppen haben sich daran gehalten.“

Ausschussmitglied Gabi Perl (SPD) fragte nach der Drogenproblematik an Schulen, die ihres Wissens groß sei. Sie sprach in diesem Zusammenhang von „Neuköllner Verhältnissen“. Soweit sei es noch nicht, schätzte Marcus Benedix ein, aber „die Rauschgiftkriminalität ist an den Schulen angekommen“. Werde dies den Schulen bekannt, schritten diese ein. Aber vieles bleibe verborgen, räumte er ein.

Als Riesenproblem habe sich daraus die Beschaffungskriminalität entwickelt, so der Revierleiter. Kellereinbrüche und Fahrraddiebstähle dienten nahezu ausschließlich dem Drogenkauf. Das Diebesgut würde von den Tätern zu Zwischenhändlern gebracht. „Das ist sehr gut organisiert.“

200 Verhandlungen haben die beiden Jugendrichter am Amtsgericht Dessau im vorigen Jahr geführt

Nach der Straftat folgt die Gerichtsverhandlung. Der oft gehörte Ruf nach harter Bestrafung verhallt aber im Jugendstrafrecht. „Hier ist der Erziehungsgedanke maßgeblich“, erklärt Sabine Haferland, seit 1994 Jugendrichterin am Amtsgericht Dessau. Gemeinsam mit der Jugendgerichtshilfe würden individuelle Sanktionsmaßnahmen verhängt. Verurteilt nach Jugendstrafrecht wird vom 14. bis 18. Lebensjahr, bis zum 21. Geburtstag gelten die Täter als Heranwachsende. Auch in diesem Alter können sie nach Jugendstrafrecht verurteilt werden, so Haferland, nämlich dann, wenn es sich um ein jugendtypisches Delikt handelt oder der geistige Zustand nicht dem Alter entspricht. Gruppendynamik und Imponiergehabe sind Indizien dafür. „In 95 Prozent der Fälle entspricht die geistige Reife nicht die eines Erwachsenen“, so Haferland.

200 Verhandlungen haben die beiden Jugendrichter am Amtsgericht Dessau im vorigen Jahr geführt. Dabei sei die Zahl der Verfahren mit Beteiligung von Jugendschöffen gestiegen. Das sind Straftaten, bei denen eine schwere Schuld oder schädliche Neigungen des Täters vorliegen. Diese werden mit Freiheitsentzug bis maximal fünf Jahren geahndet.

90 Prozent der Täter kommen aus sozial schwachen Familien mit geringer Bildung

Wenn Jugendliche straffällig werden, hat dies zumeist Ursachen im häuslichen Umfeld. 90 Prozent der Täter kommen aus sozial schwachen Familien mit geringer Bildung, weiß Sabine Haferland. Ein Hauptschulabschluss sei selten.

„Die Familien sind völlig ohne Strukturen und bieten keinerlei Halt“, weiß Bastian George aus seiner Schöffentätigkeit. Er sieht hier den Ansatz, um präventiv tätig zu werden. Die Etablierung eines sozialen Trainingskurses, wie es die Jugendgerichtshilfe vorschlägt, wird vom Jugendhilfeausschuss deshalb unterstützt.