Alles offen, außer die Schulen Wie erlebt eine Dessauer Familie die Corona-Pandemie in Ecuador?
Die Ex-Dessauer Sandra und Ralf Biebeler erleben die Pandemie mit ihren Kindern in Ecuador. Der Umgang dort mit Corona unterscheidet sich grundlegend von den Maßnahmen in Deutschland.

Quito/Dessau - Noch im September 2020 berichtete der Ex-Dessauer Ralf Biebeler der MZ über die Corona-Maßnahmen in seiner Wahl-Heimat Ecuador: „Alles viel krasser als in Deutschland.“ Damals galten aufgrund hoher Infektionszahlen in der Andenrepublik nach einem „Super-Lockdown“ im Frühjahr Ausgangssperren und strikte Maskenpflicht in der Öffentlichkeit. Daran war hierzulande noch nicht zu denken.
Nachdem nun Deutschland seit Monaten durch einen partiellen Lockdown mit ähnlich scharfen Regeln geht, ist Ecuador erneut so etwas wie das genaue Gegenteil. „Hier ist alles offen, die Läden, die Restaurants, die Hotels, die Museen, auch die Kultur- und Freizeiteinrichtungen“, berichtet Biebeler. Dafür gebe es eine strenge Maskenpflicht im Freien und sogar im Auto. „Komplett geschlossen sind dagegen die Schulen.“
Wie die aktuelle Infektionslage in Ecuador tatsächlich ist und ob das Vorgehen des Landes dazu passt, kann der Ex-Dessauer nicht beurteilen
Ralf Biebeler lebt mit seiner Frau Sandra und seinen beiden Kindern Luke und Lara - sieben und vier Jahre alt - seit 2018 in Ecuador. Genauer gesagt, in einem Tal nahe der Hauptstadt Quito. Das Paar hat am Dessauer Liborius-Gymnasium Abitur gemacht.
Die Dessauer sind im Auftrag der deutschen Regierung in Ecuador. Denn Sandra Biebeler wurde von der Bundesrepublik als Lehrerin an die Deutschen Schule in Quito entsandt. Sie unterrichtet dort - im Moment natürlich digital - Mathematik und Englisch. Ralf Biebeler betreut von Südamerika aus das Marketing für seine Heidelberger Filmfirma.
Wie die aktuelle Infektionslage in Ecuador tatsächlich ist und ob das Vorgehen des Landes dazu passt, kann der Ex-Dessauer nicht beurteilen. Inzidenzen würden nicht angegeben, die Entscheidungsprozesse im Kampf gegen Corona seien anders als in Deutschland nicht transparent. „Meine Informationsquelle, ist eine Tageszeitung, die ich täglich lese“, so der 39-Jährige.
Das Auswärtige Amt führt Ecuador als „Hochinzidenzgebiet“ mit besonders hohem Infektionsrisiko
Mal sei darin von 300, mal von 2.500 täglichen Neuinfektionen die Rede. Sein Umfeld - also die deutsche Community in Quito- führe die Schwankungen auf ein schlechtes Testsystem zurück. „Ich weiß nur, dass wohl die Krankenhäuser wieder voll laufen und in letzter Zeit häufig von über 2.000 neuen Fällen die Rede ist.“
Bei nur rund 17 Millionen Einwohnern ist das viel. Die Weltgesundheitsorganisation meldete zuletzt für den 15. April fast 3.000 Neuinfektionen. Das Auswärtige Amt führt Ecuador als „Hochinzidenzgebiet“ mit besonders hohem Infektionsrisiko - gerade die Region um Quito sei betroffen.
Dünn sei auch die Informationslage in Sachen Corona-Impfungen. „Keiner weiß genau, wie viele Dosen im Land sind. Wer von den Verantwortlichen rankommt, lässt erst mal sich und seine Familie durchimpfen.“ Einen Aufschrei wie in Deutschland gebe es nicht deswegen. „Die katholische Bevölkerung hier ist ziemlich obrigkeitshörig.“ Über Mutationen weiß der Ex-Dessauer nur, dass die brasilianische Variante auf dem Vormarsch sein soll.
„Wir leben hier in einer Blase, in einer relativ gehobenen sozialen Schicht“
Dass seine Familie vom Pandemiegeschehen insgesamt wenig mitbekommt, gibt Ralf Biebeler zu. „Wir leben hier in einer Blase, in einer relativ gehobenen sozialen Schicht. Wir und die Leute, mit denen wir verkehren, können der Corona-Gefahr gut entgehen.“ Sie würden im Alltag eher nicht in Situationen kommen, in denen man sich infizieren könne.
Die Leute aus der Nachbarschaft würden sogar in den Urlaub fliegen, etwa nach Mexiko. „Hier wirkte die Mallorca-Diskussion in Deutschland entsprechend sehr fremd.“ Und auch die Biebelers konnten über Ostern den Süden des Landes bereisen und wohnten in fast leeren Hotels. „Auslandstouristen gibt es gerade nicht.“
Armut und Gewalt
Ganz anders sieht das Leben der „normalen“ Ecuadorianer aus. Ärmere Familien würden eng zusammenleben. Und da viele ihren Lebensunterhalt als Straßenverkäufer bestreiten müssten, könnten sie Kontakte schlecht vermeiden. Besonders prekär sei wegen Corona die Lage der Schüler, erzählt Biebeler.
Während seine eigenen Kinder an der deutschen Schule in einem gut durchdachten System online lernten, gebe es zwar auch an den öffentlichen Schulen Digitalunterricht, den Kindern fehlten aber meist die Endgeräte. „Die Schulen sind außerdem ein Zufluchtsort für die Kinder, weil es Gewalt in den Familien gibt oder sich die Eltern nicht kümmern können“, so der 39-Jährige. Dass die Regierung Schulöffnungen immer wieder verschiebt, sei daher frustrierend.
Ralf, Sandra, Luke und Lara planen, noch bis 2023 in Ecuador zu bleiben
Um die Not der sehr jungen Ecuadorianer zu lindern, engagiert sich Sandra Biebeler im Vorstand der Hilfsorganisation „Damas Alemanas“, die etwa Kinder mit Lehrmaterial versorgt oder von der Straße holt. Mit ihrer Geschichte wollen die Biebelers in der alten Heimat daher auch um Spenden für den Verein werben.
Ralf, Sandra, Luke und Lara planen, noch bis 2023 in Ecuador zu bleiben. Danach will die Familie zurück nach Deutschland. Nicht nach Dessau, wo noch Eltern, Großeltern und Freunde leben, sondern nach Heidelberg, wo sie zuletzt ihren Lebensmittelpunkt hatten. (mz/Daniel Salpius)
Infos zu Damas Alemanas und Spendenkonto: www.damasalemanas.de