Wenn der Chef ins Rennauto steigt
DESSAU/MZ. - Ganz hinten in der Halle hat Andreas Hernig ein karges Büro bezogen. Der 42-Jährige war erst Betriebsleiter und ist seit einigen Wochen Geschäftsführer der Carmag GmbH, die mit nicht weniger angetreten ist als dem Ziel, den Motorenmarkt zu revolutionieren. Mit Kolben aus Carbon, die mit Magnesium infiltriert sind.
Warten auf Serienproduktion
Der Kolben - im Juli 2007 unter der Nummer 102005006879 beim Patentamt in München zugelassen - ist ein Dessauer Produkt, das auf den Durchbruch - also die Serienproduktion - harrt. Das Teil ist leichter als ein herkömmlicher Kolben, hat eine höhere Festigkeit, dehnt sich weniger aus und leitet schlechter Wärme. Im Ergebnis wird der Kraftstoffverbrauch wie auch der Schadstoffausstoß eines Motors erheblich gesenkt. Doch Hernig kämpft vor allem mit Zweiflern und Skeptikern.
Weil die großen Autofirmen den von Carmag vorgelegten und den auf einem eigenen Messstand ermittelten Daten nicht trauten, ist die Firma nach Berlin zum Tüv-zertifizierten Versuchslabor für Motoren und Aggregate gegangen. Die Messdaten blieben gut, die Interessenten aus der Autobranche trotzdem abwartend. "Das ist", ahnt Hernig inzwischen, "ein langwieriges Geschäft." Der nächste geplante Schritt ist jetzt eine Langzeitanalyse über ein Jahr und 30 000 Kilometer. "Wir müssen Erfahrungen sammeln, Unterstützer gewinnen und Vorurteile abbauen."
Die weltweite Krise auf dem Automobilmarkt hat die Carmag GmbH zurückgeworfen. Auf dem Dessauer Flugplatz hatte sich die Firma im Herbst vorigen Jahres ein 2,4 Hektar großes Grundstück gesichert - und dies auch vermeldet. Die Ausbaupläne aber liegen auf Eis. "Wir fangen jetzt in der Elisabethstraße erst einmal klein an", erklärt Hernig, der die Hoffnung aber nicht aufgegeben hat. "In der Krise muss gespart werden. Mit unseren Kolben ist das möglich." Allein in Autos der Marke VW kämen 70 000 alte Motoren zum Einsatz, die die neuen Abgasnormen nicht schaffen. "Ausgerüstet mit unseren Kohlenstoffkolben", sagt Hernig, "sind die kein Problem."
Die Idee, das Patent, hätte Carmag schon einige Male verkaufen können. Doch der Ableger vom benachbarten Dessauer Automobilzulieferer Laukötter GmbH will die Produktion der Kolben selber übernehmen. "Wir wollen hier bleiben und Arbeitsplätze schaffen." Es ist ein Wettlauf mit der Zeit. Weil Carmag mit seinen neun Mitarbeitern irgendwann Erlöse generieren muss. Weil die Konkurrenz an vergleichbaren Kolben bastelt.
Die Carmag GmbH hat deshalb ihre Strategie geändert. Die kleine Dessauer Firma will durch Leistungen auf sich aufmerksam machen - und geht mit Macht in die Rennsportbranche. Seit vorige Saison stattet die Dessauer Firma Manfred Kuhn aus. Insider des Automobilsports werden es wissen: Kuhn, aus Zepernick bei Berlin stammend, gilt als einer der dienstältesten Rennfahrer der Welt - und ist mit seinem Reynard-BMW in der Interserie erfolgreich.
"Die Erwartungen in Sachen Leistungssteigerung und Reduzierung von Kraftstoffverbrauch haben sich mehr als erfüllt", sagt der 66 Jahre alte Kfz-Meister. "Die Neuentwicklung hat auch unter der Höchstbelastung eines Renneinsatzes durchgehalten." Genau das wollte Hernig erreichen. "Wir wollen die Spezialisten auf uns aufmerksam machen. Wir wollen durch Erfolge überzeugen." Derzeit werden die Kolben in hunderter Stückzahl hergestellt, wird noch viel probiert. "Wenn es richtig läuft, reden wir von einer Million Kolben und mehr."
Seit ein paar Tagen stehen die Rennboote von Andreas Lohdal in den Halle in der Elisabethstraße. Der Dessauer ist in der Klasse HR 1 000 unterwegs - und hofft auf einen schnelleren, sparsameren Motor. Seit ein paar Wochen klettert Hernig sogar selbst in einen Rennwagen. Ohne vorherige Erfahrung. Doch der 42-Jährige ist längst vom Rennsportvirus infiziert. "Man überzeugt am meisten, wenn man ein Produkt selber nutzt", sagt Hernig und kann in der Interserie schon einige vordere Platzierungen nachweisen. Neulich war Hernig sogar schneller als Rennsportlegende Manfred Kuhn. "Ein toller Moment."
Kontakte in die Moto-Szene
Am Wochenende war die Carmag GmbH im Motopark in Oschersleben dabei. Hernig schied zwar mit einem Getriebeschaden aus, hatte dann aber Zeit für viele Gespräche. "Die Teams stehen fast Schlange", freut sich der Firmenchef über das immer größer werdende Interesse. Längst gibt es Kontakte bis hin zur Deutschen Tourenwagenmeisterschaft und zur Formel Renault. "Wir machen, was wir uns leisten können", sagt Hernig. "Unsere Strategie scheint aufzugehen." Die Kolben, "Made in Dessau", können sich vielleicht doch noch durchsetzen.