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Geliebt und gehasst Weltweite Spurensuche: Häuser mit einem y-förmigen Grundriss wurden nicht nur in Dessau gebaut

Von Thomas Steinberg 02.10.2021, 14:00
Die Queensbridge Houses in New York wurden in den 1930er Jahren als soziales Wohnprojekt errichtet.
Die Queensbridge Houses in New York wurden in den 1930er Jahren als soziales Wohnprojekt errichtet. (Foto: Metro Centric, Wikipedia (CC BY 2.0))

Dessau/MZ - Häuser mit Y-förmigen Grundriss sind beileibe keine Dessauer Besonderheit. Die MZ hat sich für den aktuellen Teil der Serie zu 50 Jahren Y-Häuser auf eine kleine Weltreise im Zeichen des Ypsilon begeben.

Hoyerswerda (Deutschland)

In Dessau konnte der geplante Abriss verhindert werden, in Hoyerswerda nicht. 2011 begannen dort die Bagger, das markante elfgeschossige Y-Haus in der Weinertstraße abzutragen. In der schrumpfenden Stadt, so die offizielle Begründung, hatte das 35 Jahre zuvor errichtete Haus keine Chance am Markt – jedenfalls sahen das Stadtverwaltung und die städtische Wohnungsgesellschaft so.

In Hoyerswerda wurde im Jahr 2011 ein elfgeschossiges Y-Haus abgerissen. Gebaut worden war es 35 Jahre zuvor.
In Hoyerswerda wurde im Jahr 2011 ein elfgeschossiges Y-Haus abgerissen. Gebaut worden war es 35 Jahre zuvor.
(Foto: Stadt Hoyerswerda)

Architekt dieses Y war Peter Biernath, der über Jahrzehnte den Städtebau in Hoyerswerda entscheiden geprägt hat. Wie sein Kollege Ulf Brandstädter bei den Dessauer Y-Häusern bediente auch er sich der P2-Platte, allerdings waren in Hoyerswerda die Wohnungszuschnitte längst nicht so vielfältig. Womöglich rettete auch das die Dessauer Häuser.

Paris (Frankreich)

Das Pariser Y hat gleich mehrfach indirekten Bezug auf Dessau. Einerseits ist es Sitz der Unesco-Zentrale (genauer des Sekretariats der Unesco) - und Dessau und Umgebung können sich gleich mehrerer Unesco-Welterbestätten rühmen. Zum anderen gehörte dem Architektenteam neben Pier Luigi Nervi, Antonio Nervi und Bernard Zehrfuss der einstige Bauhäusler Marcel Breuer an. Dem Gremium, das die Entwürfe begutachtete, saß wiederum ein alter Breuer-Bekannter vor - Walter Gropius.

Das Y-Gebäude in der Nähe des Eiffelturms ist heute Unesco-Sitz.
Das Y-Gebäude in der Nähe des Eiffelturms ist heute Unesco-Sitz.
(Foto: Cha già José, Wikipedia (CC BY 2.0))

Das Gebäudeensemble am Place de Fontenoy einen Kilometer südöstlich des Eiffelturms hatte seinerzeit für erhebliche Aufregung gesorgt, zu provokant und modern erschien es manchen Kritikern.

Davon ist heute keine Rede mehr - der Unesco-Sitz ist längst fester Bestandteil vieler Parisreiseführer.

Queensbridge Houses, New York (USA)

1996 brachte das Rapper-Duo Mobb Deep mit „Hell on Earth“ ein Album heraus, in dem das New Yorker Quartier Queensbridge Houses als Ghetto voller Gewalt und Drogen beschrieben wurde. Es war die Hochzeit der Crackwelle.

Die Queensbridge Houses wurden in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts als soziales Wohnprojekt errichtet, es ist bis heute das größte seiner Art in Nordamerika: 3.142 Wohnungen in 96 Gebäuden von je sechs Stockwerken, jeweils drei zu einem Y-zusammengefügt und von diesen wiederum drei oder fünf zu einer Kette zusammengefügt. Die Mieten wurden mittels politischer Interventionen niedrig gehalten, was ab den 60er Jahren wegen mangelnder sozialer Durchmischung zu Problemen führte.

Heute lebt es sich ruhiger in Queensbridge mit seinen weitläufigen Grünflächen, einer ordentlichen sozialen und kulturellen Infrastruktur und einer guten Verkehrsanbindung. Und auch die Mieten gelten für New Yorker Verhältnisse immer noch als moderat.

La cité de l’Abreuvoir, Bobigny (Frankreich)

Noch einmal geht es nach Frankreich. Wenn man die Siedlung Abreuvoir (deutsch: Tränke) in Bobigny nahe Paris aus der Vogelperspektive betrachtet, sieht es aus, als habe ein Kind seiner Fantasie freien Lauf gelassen: Ein Gebäude windet sich wie eine Schlange entlang der Straße, mittendrin stehen zylindrische Wohntürme und einige Y-Häuser, die hier Tripods genannt werden. Es gibt viel Grün und die Fassaden sind in kräftigen Farben gestaltet.

Die Siedlung Abreuvoir in Bobigny nahe Paris wurde in den 1960er Jahren gebaut.
Die Siedlung Abreuvoir in Bobigny nahe Paris wurde in den 1960er Jahren gebaut.
(Foto: Henri Baranger/Archives départementales de la Seine-Saint-Denis)

Ersonnen hat diese heiter wirkende Gartenstadt mit ihren 1.600 Sozialwohnungen Anfang der 60er Jahre der Architekt Emile Aillaud. Es war eine bewusste Abkehr von strengen, kastenförmigen Strukturen, wie sie bis dahin bei ähnlichen Projekten üblich waren, Allerdings forderte die Formenvielfalt ihren Tribut: Manche Wohnungsgrundrisse galten als unpraktisch.

Im Laufe der Zeit machte sich die jahrzehntelange Vernachlässigung des Viertels bemerkbar – in Abreuvoir leben oftmals die sozial Abgehängten. Zwar wurde ein Sanierungsprogramm aufgelegt, aber das sorgt für Unruhe unter den Alteingesessenen. Manche fürchten, aus der Siedlung verdrängt zu werden. Ein Problem, das es international gibt - wie die Y-Häuser.