Unsichere Radfahrer Vier von zehn Kindern in Dessau-Roßlau können am Ende der Grundschule nicht richtig Fahrradfahren
Worin liegen dafür die Ursachen und was könnte da gegen unternommen werden?

Dessau-Roßlau/MZ - Es gibt diese Volksweisheit, dass man so etwas wie Fahrradfahren nie verlernt. Doch was ist, wenn man erst gar nicht richtig gelernt hat, Fahrrad zu fahren?
Auf 40 Prozent der Dritt- und Viertklässler in Dessau-Roßlau soll das laut Untersuchungen der Dessauer Verkehrswacht zutreffen. „Diese Kinder sind nicht ausreichend in der Lage, sicher ein Fahrrad zu führen und zu nutzen“, zitierte der Kinder- und Jugendbeauftragte der Stadt, Florian Hanisch, im letzten Jugendhilfeausschuss die Ergebnisse der Verkehrswacht. Für Hanisch ist das im Hinblick auf die Zukunft des Radverkehrs in der Doppelstadt besorgniserregend. „Das wird unweigerlich zu einer Abnahme der Fahrradfahrer in der Stadt führen“, prognostizierte Hanisch.
„Ein erster Schritt wäre es, Verkehrserziehung und Fahrradprüfungen früher und konsequenter durchzuführen“
Dabei ist das Fahrrad ein wichtiger Baustein der politisch angestrebten Verkehrswende. In Stufen, auf zunächst 25 und später über 30 Prozent, sollte laut Radverkehrskonzept der Stadt der Anteil der Radfahrer am Gesamtverkehr in Dessau-Roßlau in den nächsten Jahren steigen. Derzeit liegt er unter 20 Prozent. Wer in jungen Jahren aber schon unsicher auf dem Rad ist, wird es auch als Erwachsener als Verkehrsmittel meiden.
„Ein erster Schritt wäre es, Verkehrserziehung und Fahrradprüfungen früher und konsequenter durchzuführen“, so der Kinder- und Jugendbeauftragte. Die Polizei sieht die Angebote in dieser Hinsicht schon gut aufgestellt. „Wir fangen schon recht früh mit der Verkehrserziehung in den Kindertagesstätten und Grundschulen an“, erklärte Sylvana Mengel, die im Dessauer Polizeirevier für Verkehrssicherheit- und Prävention zuständig ist.
Am Ende der Grundschulzeit steht die Fahrradprüfung
Stück für Stück würden Kinder für den Straßenverkehr und für mögliche Gefahren sensibilisiert. Verkehrszeichen werden gelernt und Schulwege abgegangen. Am Ende der Grundschulzeit steht die Fahrradprüfung. „Die ist obligatorisch und wird von 95 Prozent der Teilnehmer bestanden“, so Mengel.
Das widerspricht auf dem ersten Blick den Erhebungen der Verkehrswacht. Doch im Detail rechtfertigen sich für Jürgen Wenzel von der Verkehrswacht Dessau die Ergebnisse trotzdem. „Es beginnt schon bei der materiellen Ausstattung“, so Wenzel. „Vor zehn Jahren hatten zehn Kinder im Schnitt noch zehn Fahrräder. Heute kommen auf zehn Kinder fünf bis sechs Fahrräder - im Durchschnitt“, erklärte er. Rund die Hälfte hat damit kaum Gelegenheit, regelmäßig mit einem Fahrrad zu fahren. Auch die Feinmotorik zum sicheren Beherrschen eines Fahrrads - auch in Gefahrensituationen - lässt laut Erkenntnis der Verkehrswacht beim Nachwuchs immer mehr nach.
Reale Verkehrs- und Gefahrensituationen werden in der Regel vermieden
Die guten Ergebnisse der Fahrradprüfungen führt Wenzel auf die Prüfungssituation zurück. „Häufig wird in einem Schonraum, meistens auf einem Schulhof geprüft“, erklärte er. Damit werden reale Verkehrs- und Gefahrensituationen in der Regel vermieden.
Übertragen auf Autofahrer würde das in etwa bedeuten, die Führerscheinprüfung auf einem Verkehrsübungsplatz und nicht im realen Verkehr zu absolvieren. Wenzel plädiert dafür, zukünftig die Fahrradprüfungen verstärkt im öffentlichen Raum, im realen Verkehr, durchzuführen. Das passiert bisher nur sehr vereinzelt. Solche Prüfungen hätten für ihn verlässlichere Aussagekraft, ob Kinder tatsächlich sicher Fahrrad fahren.
Eltern sollten Kinder auch bewusst mehr Rad fahren lassen
Verkehrswacht und Kinder- und Jugendbeauftragter schlagen gleichzeitig vor, die Anstrengungen zu verstärken, um möglichst viele Kinder und Jugendliche in der Stadt mit Fahrrädern auszustatten. Eltern sollten ihrer Meinung nach Kinder auch bewusst mehr Rad fahren lassen.
Oft wird auch aus Sorge um die Verkehrssicherheit oder aus Bequemlichkeit das Auto bevorzugt und der Nachwuchs zu Freizeitaktivitäten oder zur Schule gefahren. „Deshalb wäre ein absolutes Halteverbot vor Schulen ein erster Schritt“, formulierte Wenzel wohlwissentlich eine provokante These.