Verwaltungsgericht Verwaltungsgericht: Dessau klagt seine Gleichbehandlung ein
Dessau/MZ. - Sieben Millionen Euro fehlen der Stadt Dessau im Haushaltsjahr 2002. Mit einem positiven Richterspruch wäre das Problem gelöst: "Wir müssten finanziell nur gleich gestellt werden wie Magdeburg und Halle", sagt Kessing. Beide Städte sind Oberzentren und kreisfreie Städte - wie Dessau auch. Doch Halle und Magdeburg bekommen für jeden Einwohner zwölf Prozent mehr Zuweisungen. Würde Dessau diese auch erhalten, bekäme die Stadt allein 2002 etwa sieben Millionen Euro mehr Geld vom Land und hätte einen ausgeglichenen Haushalt.
Würde. Bekäme. Hätte. Der Konjunktiv macht das Problem offenbar - und den Fall, den Dessau nun vor Gericht geklärt haben will. Die Klage wurde schon im Jahr 2000 eingereicht und betrifft das Haushaltsjahr 1999, in dem Dessau umgerechnet etwa 52 Millionen Euro an Zuweisungen erhalten hat. Dagegen ist die Stadt in Widerspruch gegangen.
Die Stadt Dessau verklagt das Statistische Landesamt Sachsen-Anhalt, das vom Innenministerium mit der Umsetzung des Finanzausgleichsgesetzes beauftragt ist, das die Verteilung der Gelder an die Städte und Gemeinden des Landes regelt. "Dort laufen alle Daten zusammen", begründet Werner Reinhold, Referatsleiter Kommunale Finanzen im Innenministerium. Im Dessauer Verwaltungsgericht sitzt Reinhold auf Seiten der Beklagten. Nicht zum ersten Mal. Ein gutes Dutzend Mal schon haben Kommunen gegen das Finanzausgleichsgesetz geklagt, meist kleinere Sachen. Dessaus Klage hat eine bislang ungekannte Dimension: "Kommt die Stadt durch", ahnt Reinhold, "müsste wohl eine komplette Neuregelung des Finanzausgleiches her." Für Dessau würde das nicht unbedingt mehr Geld bedeuten. "Ob sich die Stadt mit einer Neuregelung einen Gefallen tut, muss abgewartet werden." Doch bis dahin ist es eh noch ein weiter Weg durch die Instanzen. Bekommt die Stadt Dessau am Verwaltungsgericht Recht, will Reinhold "auf jeden Fall" das nächste Gericht anrufen.
Kessing ist das erst einmal egal. "Ich erwarte, dass unsere Belange angemessen berücksichtigt werden." Dass das viel kleinere Dessau die gleichen Aufgaben wie Halle und Magdeburg erfüllen müsse, dass die Stadt bei viel weniger Einwohnern ein großes Theater vorhalte, dass Dessau mehr Bundesstraßen als Halle zu unterhalten habe - das sind nur wenige Beispiele. All das rechtfertige den Anspruch, mit Halle und Magdeburg gleichgestellt zu werden. Durchsetzen soll das die Berliner Kanzlei Linklaters, Oppenhoff & Rädler. "Die sind erfahren in solchen Dingen", bestätigt Kessing. "Aus eigener Kraft hätten wir das nicht leisten können."
Vor Gericht ist die Streitfrage, ob Einwohner in Oberzentren und kreisfreien Städten bei den Finanzzuweisungen unterschiedlich gewichtet werden dürfen. "Gibt es dafür objektivierbare Kriterien?", fragt Jan Endler, Dessaus Rechtsanwalt. Reinhold, sein Gegenüber vom Innenministerium, verweist auf andere Bundesländer, die die Zuweisungen ebenfalls staffeln: Brandenburg gibt zwischen 100 und 138 Prozent pro Einwohner, Thüringen zwischen 100 und 150 Prozent, Baden-Württemberg zwischen 100 und 186 Prozent. "Wenn man sich das so für Augen führt, liegen wir in Sachsen-Anhalt im Mittelfeld", sagt Reinhold und sieht das System der unterschiedlich hohen Zuweisungen über viele Jahre und Jahrzehnte ausgetestet. Nur ist es objektiv und nachvollziehbar, dass Dessau weniger bekommt als Halle und Magdeburg?
Reinholds Trumpf: Ein Protokoll aus dem Jahr 1994, als der Finanzausschuss und der Innenausschuss Dessaus Oberbürgermeister Hans-Georg Otto zum Thema Finanzausgleich anhörten. Der habe damals keine Kritik geäußert, sagt Reinhold. Acht Jahre ist das her. Aktueller ist ein Gutachten, das die Stadt-Umland-Problematik von Dessau, Halle und Magdeburg untersucht und Dessau die geringste Verflechtung mit dem Umland nachweist. "Die Wahrnehmung der Oberzentrumsfunktion ist unterschiedlich groß", schlussfolgert Reinhold - unterschiedliche Zuweisungen seien deshalb gerechtfertigt. Für Endler, Dessaus Anwalt, bleiben "die Zahlen aus der Luft gegriffene Größen". Denn was Reinhold außen vor lässt: Auch zwischen Halle und Magdeburg ist das Verflechtungspotenzial höchst unterschiedlich - beide bekommen aber gleich hohe Zuweisungen.
Eine Stunde fast geht es hin und her. "Es hat Spaß gemacht, mit Ihnen zu streiten", verabschiedet sich Endler wenig später von Reinhold. Das Urteil soll am Nachmittag verkündet werden, am Ende des Sitzungstages. Doch dazu kommt es nicht: Zu lange dauert die Beratung der 4. Kammer. Diese will nun heute Recht sprechen.