Vater Binder war Johannbau-Bauleiter
DESSAU-ROSSLAU/MZ. - Zu den wichtigsten Steinmetzen und Baumeistern, die im 16. Jahrhundert im Dienste der Fürsten von Anhalt wirkten, zählten Vater und Sohn Bastian und Ludwig Binder. Binder Junior, Ludwig also, wurde bislang die Planung, Bauausführung und Überwachung zur Errichtung des Westflügels vom einstigen Residenzschloss der Fürsten und Herzöge von Anhalt zugeschrieben. Und dieser Westflügel ist ja nicht irgendein Gebäude: Der Johannbau steht in einer Reihe mit den ältesten und bedeutendsten Schlossbauten der Frührenaissance.
Die Architektur der mitteldeutschen Frührenaissance war im Sommer dieses Jahres das Thema eines Kolloquiums des Instituts für Kunstgeschichte und Archäologie Europas an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Die hallesche Kunstwissenschaftlerin Dr. Anke Neugebauer würdigte dabei die Lebensleistungen Bastian und Ludwig Binders. Dessaus frühere Stadtarchivarin Dr. Ulla Jablonowski hörte diesen Vortrag und bat Neugebauer, diesen vor den Mitgliedern des Vereins für Anhaltische Landeskunde zu wiederholen. Im Rahmen dessen waren für Donnerstagabend wichtige neue Erkenntnisse zur Baugeschichte des Johannbaus angesagt. Es wurde nicht zu viel versprochen.
So präsentierte Neugebauer auf der Projektionswand ein Meisterwappen Ludwig Binders aus einem Seitenschiff der Kirche St. Johannis in Bad Salzelmen. Dieses ist mit der Jahreszahl 1539 versehen. Die Inschrift besagt, dass Ludwig Binder sein Werk im Alter von 27 Jahren vollbracht habe. Daraus ist auf das Geburtsjahr 1512 zu schließen, was wiederum ausschließe, schlussfolgerte Neugebauer, dass Ludwig Binder der Hauptakteur am Johannbau gewesen ist. Noch dazu, wo der Baubeginn um etwa zwei Jahre und zwar auf das Jahr 1528 vorverlegt werden müsse. Davon sei anhand von Materiallieferungen auszugehen. Ludwig Binder sei also für die Bauleitung viel zu jung gewesen.
Das 1998 bei Sanierungsarbeiten im Johannbau aufgefundene steinerne Porträtrelief, von dem bislang ausgegangen war, dass es Ludwig Binder zeigt, wurde auf den Vater umgedeutet. Nach Lage der Dinge müsse baugeschichtlich Bastian Binder die Bauleitung zugeschrieben werden. "Das ist schon etwas wesentlich Neues", wertete Dessau-Roßlaus Stadtarchivar Dr. Frank Kreißler.
Ludwig Binder hat aber dennoch einen Anteil am Johannbau, nur eben nicht als Werkmeister, sondern als "einfacher" Steinmetz: Er hat sich selbst etliche Steinmetzzeichen gesetzt. Auf diese Weise ist wenigstens einer aus der Handwerkerschar nicht mehr namenlos. Etliche Jahre später leitete Binder Junior auch den Turmbau für die Dessauer Marienkirche. Tragisch ist sein Tod: Es war ein Arbeitsunfall. Er fiel von einem Turm.
Erhalten geblieben sind übrigens verschiedene Bauzeichnungen über den Johannbau, die aber weder signiert noch datiert sind. Die Dessauer Kunstwissenschaftlerin Dr. Julie Harksen (1898-1980) und Anke Neugebauer schließen anhand von Schriftvergleichen mit einiger Sicherheit aus, dass die Zeichnungen von einem der Binders stammen. Der Johannbau gibt weitere Rätsel auf.