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Unter ihrer Schürze steckt ein Mann

Von Thomas Altmann 11.02.2008, 18:56

Dessau/MZ. - Auf der Zunge trägt sie es, die Ilse Bähnert aus Blasewitz. Und unter ihrer Kittelschürze steckt ein Mann.

Tom Pauls war am Freitag zu Gast im Anhaltischen Theater, um sein Lene-Voigt-Programm "Sächsische Variationen" virtuos durch zu sächseln. Vom Küchentisch aus vernetzt Ilse, Pauls' betagte Kunstfigur, mit Blasewitzer Charme die Etagen ihrer hochsächsischen Mietskaserne. Und siehe, man versteht beinah vieles, den typischen Tratsch, die allerliebsten Alltagsgeschichten und nicht zuletzt die Voigt-Verse.

Populäre Parodien

Die Mundartdichterin schrieb in den 1920er und 1930er Jahren für verschiedene Zeitungen. Popularität erlangte sie mit ihren Parodien auf hochdeutsche Klassiker in sächsischer Mundart. 1936 wurden ihre Schriften verboten. Voigt geriet in Vergessenheit. Sie erkrankte. Diagnose: Schizophrenie. 1962 gestorben, begraben und immer wieder ausgegraben von Tom Pauls, sprich Ilse Bähnert.

Sie, die Bähnert, kommt von schräg unten auf die Bühne, plaudert über die Welt und die Nachbarn, nimmt ein Fußbad, kocht Kaffee. Der Blümchenkaffee werde aus dem Schatten einer Bohne gebrüht. Und wenn wir schon beim Trinken sind: "In Maßen dut der Algohol dn allermerschten Leiten wohl. Doch wer sei Seifchen iwerdreibt, nich ohne beese Folchen bleibt". Vielleicht kann man das auch alles ganz anders schreiben, nüchterner. Es hört sich jedenfalls beschwippst gemütlich bis trunken grotesk an, wenn Pauls, also Ilse, Lenes Verse rezitiert, reichlich illustriert und skurril schikaniert. Diese geräumige Gebärdensprache, dieser schmerzhaft geführte Witwensopran!

Das klappt auch mit dem Umziehen. Meist mimt Pauls Ilse, mal den Dieter, dessen Frau - sie wissen schon - recht unstet ist. Und dann gibt er auch noch den Oberlehrer im nüchternen und entrückten Befinden. Sie singen und sagen die "säk'schen Glassiger" her: "Ich weeß nich mir isses so gomisch". Weil das Freilein ein "Couplet" singt, gibbelt endlich dr Gahn. Und tierisch lustvoll wird die Ballade "Dr Handschuhk" gequält.

Gemütlich gedehnt

Die Voigt-Verse sind, fast ohne zu wackeln, mit den Szenen aus der Mietskaserne verknüpft. Da geht es nicht immer hoch, aber meist reizend her. Reichlich Hinterhof-Redlichkeit trifft treppab treppauf auf gesellige Gesellschafts- nebst Sprachkritik. Das Lammmedaillon ist verschwenderisch lang, dem Namen nach. Wie er es gemütlich witzig dehnt, das kleine Stückchen Fleisch und die großmütterliche Travestie.

Ein echter Saggse didschd (?) eben alles, auch das Schicksal, den Humor und die Gegenwartsschelte. Am Ende hat Ilse nicht nur einen noch, sondern gleich einen ganzen Reigen auf Lager. Obgleich die Bähnert ja nun schon über 80 sein müsste. Aber ist Blasewitz nicht eigentlich ein gutbürgerlicher Dresdener Stadtteil?