Ungewöhnliche Malerei Ungewöhnliche Malerei in Dessau: Ein Gemälde verzaubert eine Siedlung

Dessau - Wer immer jetzt in die Hermann-Löns-Straße kommt, bleibt auf Höhe Hausnummer 29 ungläubig stehen. Oder bremst unweigerlich sein Gefährt ab. Um besser sehen zu können. Was ist so fesselnd in der schmalen Anliegerstraße im Einbahnstraßenviertel der Siedlung gleich neben dem Hasenwinkel? Auf drei Garagentoren und benachbarter Wand prangt das Abbild eines Flugzeugs. Eine dreimotorige Ju52 hebt die Nase leicht in die Höhe, als ob sie eben durchstarten wolle. „Tante Ju“ fast in Lebensgröße.
Mehr als drei Garegentore breit
Im Maßstab 1:25 hat Fridolin Kraska den Kultflieger gezeichnet, um ihn dann perspektivisch auf eine große Freifläche zu malen. Jeweils drei Meter sind die drei Garagentore breit, plus 4,26 Meter hell geputzter Fassade. Gut 2,50 Meter hoch sind die Tore, die Wand bietet Platz nach oben und schließt an die verbliebene Doppelhaushälfte an. Da kann die Ju bequem am Heck ihre Höhen- und Seitenruder entfalten.
Ein Blickfang ohne Frage. Doch was bringt den hochangesehenen und seit 2003 pensionierten Ausstattungsleiter und Künstler des Anhaltischen Theaters dazu, Flugzeuge an Hauswände zu malen?
Uniformierte Häuser sind langweilig
Streng hochgezogene Brauen in einem markant-schmalen Gesicht könnten Ärger verheißen. Dumme Frage? Freundliches Lachen aber führt über zur verschmitzten Antwort. „Ich male gern in großen Formaten. Uniformierte Häuser, die überall gleich aussehen, gefallen mir nicht. Das ist langweilig.“ So hatte Kraska auch nicht lange gezögert, dem eigenen Wohnhaus einen bunten, lebhaften Anstrich zu verschaffen. Der nach 15 Jahren allerdings jetzt ans Verblassen gerät und „mal wieder aufgefrischt werden könnte“. Das nächste Projekt.
Die Idee mit Garagen und Wand hatte Fridolin Kraska vorab und gemeinsam mit Gegenüber-Nachbar Dietmar Wetzel, der zur Hausgeschichte recherchiert hatte und wusste, dass die im Krieg verloren gegangene Doppelhaushälfte in der Hermann-Löns-Straße 1 von einem Junkers-Ingenieur bewohnt wurde. Wie so viele Häuser in der Siedlung. Warum also keine Hommage an die Luftfahrtpioniere von einst an authentischer Stelle, planten die Nachbarn die Verschönerung ihres Eigentums.
Eine ganz persönliche Verbindung
Wer an Junkers denkt, landet unweigerlich bei der Ju52. Zumal der Künstler Kraska zu diesem „technischen Vehikel“ noch ein sehr persönliches Verhältnis hat. Zu seinem 60. Geburtstag hatte Ehefrau Margit im Jahr 2.000 ihrem Fridolin einen Rundflug geschenkt. „Und mich da gleich mit eingecheckt“, wie die bis heute gertenschlanke frühere Tänzerin des Anhaltischen Theaters lächelt. Der Flug in die Wolken blieb dem Paar unvergesslich. „Das Wetter war prima - und in der Luft versteht man, wie die Ju zu ihrem Namen ,Tante’ kam. So ruhig und ausgeglichen, so betont langsam und gehaltsam ist das Fliegen in der Ju52“, findet Fridolin Kraska. Eine Ju sei eben schon allein in ihrer Ruhe präsent.
Malerei ist kein 1:1-Abbild
Nun also hat sie ihr Abbild in der Siedlung. Die gegenständliche Darstellung haarscharf am Naturalismus - hier sitzen sogar die Schriftzüge von Lufthansa und Junkers exakt am rechten Fleck - ist eigentlich überhaupt nicht seine Sache, gesteht Maler Kraska. Seiner Überzeugung nach ist Malerei kein 1:1-Abbild wie ein Foto. Sondern sie findet ihren Sinn erst als Erlebnis des Rezipienten beim Betrachten des Gemalten. „Der schlüpft dann hinter die sichtbaren Dinge.“ Die Wahrnehmungen beim Anblick der Tante also sind vielfältig.
„Wir machen zur Einweihung ein kleines Straßenfest“, sind sich Kraska und Wetzel einig. Kein Fest ohne Inszenierung, wissen die Theaterleute - neben Kraska wohnt der langjährige Verwaltungsdirektor Joachim Landgraf. Und so hat die Regie den Ton im Plan: Das unverkennbare Ju-Blubbern dröhnt per Lautsprecher über die Siedlung. So gar nicht langweilig. (mz)
