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Aus der Anonymität geholt Töchter in Auschwitz ermordet: An zentraler Stelle wird in Dessau an jüdische Familie erinnert

Zwei in Auschwitz ermordete Töchter der Textilwarenhändler Gutmann bekommen mit Stolpersteinen einen zentralen Erinnerungsort im Dessauer Zentrum.

Von Danny Gitter 20.11.2021, 14:00
Insgesamt fünf Stolpersteine erinnern an die Familie Gutmann.
Insgesamt fünf Stolpersteine erinnern an die Familie Gutmann. (Foto: Gitter)

Dessau/MZ - „Was wäre, wenn wir heute hier noch immer vor einem Textilwarengeschäft stehen würden, geführt in guter Familientradition“, fragte Geertje Perlberg am frühen Montagnachmittag vor dem Haus in der Kavalierstraße 66. Von Urenkeln, vielleicht auch schon Ur-Urenkeln Geschichten über ein bewegtes Geschäftsleben, was bis dato auf über 100 Jahre zurückblicken könnte, erzählt zu bekommen. Das wäre ein verlockender, ein tröstlicher Gedanke für die Pastorin der evangelischen Dessauer Innenstadtgemeinde St. Johannis und St. Marien.

Doch, dass es anders kam, dafür sind die Stolpersteine vor dem einstigen Textilwarengeschäft, wo sich heute ein syrisches Restaurant befindet, Zeugen. Überall, wo die Pflastersteine mit Messingschild verlegt werden, erinnern sie daran, dass Menschen, die dort wohnten, unter den Nationalsozialisten litten, dass ihr Schicksal oft mit Deportation und Vernichtung endete.

104 Stolpersteine sind seit 2008 offiziell im Dessau-Roßlauer Stadtgebiet verlegt worden

Drei Stolpersteine erinnerten in der Kavalierstraße 66 schon seit 2012 an die Familie Gutmann. Nach langen Recherchen und durch Spenden aus der Bevölkerung konnte das Gedenken um zwei weitere Steine erweitert werden. Vor wenigen Tagen wurden sie verlegt und am Montag offiziell der Stadt übergeben.

104 Stolpersteine sind damit seit 2008 offiziell im Dessau-Roßlauer Stadtgebiet verlegt worden. Europaweit sind es mittlerweile rund 90.000. „Sie helfen uns zu erinnern und uns der Trauer zu stellen“, sagt die Pastorin Perlberg. Auch im Quartier rund um ihre Kirche sind in den vergangenen 13 Jahren Steine verlegt worden. Jeder einzelne erinnert an die Vielfalt gesellschaftlichen Lebens, die einst im Dessauer Zentrum pulsierte.

1940 ging das jüdische Geschäft in der Kavalierstraße in „arischen“ Besitz über

Auch für Hermann Gutmann (1857 - 1941) und seine Ehefrau Emma (1863 - 1942) war es zunächst ein vielversprechender Start in der damaligen Residenzstadt Dessau. Aus Jastrow in Westpreußen zogen sie hierher, um 1903 ein modernes Kaufhaus für Textilien in der Kavalierstraße zu erbauen. In den oberen Etagen wohnten sie mit den Kindern. 1940 ging das jüdische Geschäft in „arischen“ Besitz über. Die Eltern starben nach längerer Krankheit. Er 1941 in Dessau, sie 1942 in einem jüdischen Krankenhaus in Berlin. Von den drei Töchtern, wurde die unverheiratete Meta 1942 im Warschauer Ghetto ermordet. Die beiden verheirateten Töchter Hertha und Else starben 1943 in Auschwitz.

Die für sie kürzlich verlegten Stolpersteine holen die Töchter Hertha und Else aus der Anonymität der Massengräber des Konzentrationslagers in Polen zurück ins öffentliche Bewusstsein. „Deshalb mögen die Namen auf den Stolpersteinen zum bewussten Denken und Gedenken anregen“, hofft der Stadtratsvorsitzende Frank Rumpf (CDU).

Rund ein Dutzend Vertreter aus Politik, Verwaltung und  jüdischer Gemeinde übergaben am Montag  neue Stolpersteine in der Kavalierstraße 66.
Rund ein Dutzend Vertreter aus Politik, Verwaltung und jüdischer Gemeinde übergaben am Montag neue Stolpersteine in der Kavalierstraße 66.
(Foto: Gitter)

„Das Thema ist noch immer aktuell, wie die Ereignisse in Halle vor zwei Jahren zeigten“

Die Grünen-Landtagsabgeordnete Cornelia Lüddemann hat für die Stolpersteine in der Kavalierstraße 66 die Patenschaft übernommen und putzt sie regelmäßig. Der November ist schon aus Tradition im Gedenken an die Pogromnacht 1938 ein Monat der Erinnerung.

„Das Thema ist noch immer aktuell, wie die Ereignisse in Halle vor zwei Jahren zeigten. Deshalb ist es wichtig, dass möglichst viele Menschen verdeutlichen, dass mit uns so etwas nicht stattfindet“, so Oberbürgermeister Robert Reck.

Die Werkstatt Gedenkkultur im Kiez e.V., die in der Stadt Projekte rund um die Stolpersteine betreut, möchte deshalb, soweit es die Pandemie zulässt, 2022 auch wieder Schulen in die Erinnerungsarbeit einbeziehen und dann weitere Steine verlegen.