Symbolik der roten Nelke für junge Generation verblasst
DESSAU-ROSSLAU/MZ. - Zwischen drei Veranstaltungen konnten die Dessau-Roßlauer am "Tag der Arbeit" wählen. Das diesjährige Motto des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), der die Aktionen mitorganisierte: "Arbeit für alle bei fairem Lohn." Im Roßlauer Rudolf-Harbig-Stadion ertönte von 14 bis 18 Uhr Blasmusik, im Dessauer Stadtpark begann das Familienfest schon um elf Uhr. Neben Spiel und Spaß für die Kleinen standen hier die politischen Kundgebungen im Mittelpunkt. Vor etwa 700 Besuchern kritisierte Manfred Pettche, Chef der IG Metall, die Kluft zwischen Arm und Reich und die soziale Ungerechtigkeit im Lande. "Heute zeigt sich, welche katastrophalen Auswirkungen die neoliberale Politik der vergangenen Jahre hat", so der 54-Jährige. Pettche betonte, dass die Gewerkschaften die Ungerechtigkeit nicht hinnehmen werden, dass "die Banken vor dem Bankrott gerettet und die Beschäftigten dem freien Fall der Krise überlassen werden." Zwar begrüße man die Kurzarbeit, die in Sachsen-Anhalt etwa 1 000 Menschen in 700 Betrieben betreffe, warnte zugleich aber vor Massenentlassungen, die bisher verhindert werden konnten. Trotz der Krise fordern die Gewerkschafter deshalb einen Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde.
"Alles Worte, die ich schon tausendmal gehört habe", sagt Steffi Blanke. "Wir sind doch die falschen Ansprechpartner", meint die 48-Jährige. "Den Politikern sollte man diese Forderungen stellen." Einen Mindestlohn von 7,50 Euro hält die gelernte Bankkauffrau für viel zu gering. "Die Gewerkschaften müssen viel höher einsteigen, weil am Ende ja doch weniger herauskommt." Dieser Meinung ist auch Nancy Kohlert von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), die im Stadtpark einen Stand betreute. "Heute wäre ein Mindestlohn von neun Euro angebracht", sagt die 24-Jährige. Trotzdem sammelt die Gewerkschaft gemeinsam mit Verdi Unterschriften für einen Lohn von 7,50 Euro, der alle Branchen umfassen soll. 30 000 Unterschriften habe man bereits bekommen. Ein vorläufiges Ende der Unterschriftensammlung ist nicht in Sicht. "Wir machen so lange weiter, bis es den gesetzlichen Mindestlohn gibt", versichert Gewerkschafterin Kohlert.
Tagespolitik - kein Thema an der Roßlauer Ölmühle. Auf der Wiese an der Rossel herrschte am Freitag Volksfestatmosphäre: Die Kinder bastelten oder kletterten in das rote Auto der Roßlauer Feuerwehr, die Erwachsenen verdrückten die eine oder andere Bockwurst. Dazu trank man Bier. Selbst die Herren von der "Linken", die als einzige Partei ihren Stand errichtet hatten, prosteten sich zu. Da war es nicht unpassend, dass Oberbürgermeister Klemens Koschig in seiner Begrüßungsrede darauf verwies, dass es zwar wichtig sei am 1. Mai "gemeinsam zu feiern", der "Tag der Arbeit" aber vor allem "ein Bekenntnis zu Frieden, zu Freiheit" sei - Koschig hatte sich ebenfalls eine rote Nelke angesteckt. Während viele Gäste den Blumenschmuck noch aus DDR-Zeiten kennt, weiß die jüngere Generation von der Symbolik nichts mehr. Warum feiern wir den 1. Mai? Die 14-jährige Caroline Elsner antwortet ehrlich: "Keine Ahnung."