Sozialarbeit Sozialarbeit: Hilfspakete nach Roßlau und Coswig
Dessau/Roßlau/MZ. - "Ich habe sie nicht mehr auf der Liste. Sie waren jetzt drei Wochen nicht hier. Aber sie müssen jede Woche herkommen, damit sie registriert bleiben", sagt Rita Lüdecke bedauernd zu einem kleinen jungen Mann, der ganz vorn an der Spitze der Schlange steht. "Aber vielleicht bleibt doch etwas übrig?", fragt er hoffnungsvoll. Rita Lüdecke zuckt mit den Schultern. Sie weiß es noch nicht, rät ihm nur, nächste Woche auf jeden Fall in die Ausgabestelle zu kommen. Vorerst aber bleibt seine Einkaufstasche leer.
"Haben sie vielleicht Nudeln oder eine Backmischung, damit ich mit meinen Kindern mal backen kann?", fragt eine etwa 40-jährige Frau. Rita Lüdecke verspricht: Nächste Woche sei das bestimmt dabei und stellt eine Kiste mit Gemüse, Gebäck, Obst, Joghurt und Konserven auf den Tisch. "In so eine Situation kann jeder kommen, das geht manchmal ganz schnell", wendet sich Rita Lüdecke gegen jegliches Naserümpfen. In Roßlau versorgt sie mit einigen Helfern vom Verein "Dessauer Tafel" jede Woche 43 bedürftige Familien mit Lebensmitteln.
Bruno Harnisch aus Roßlau ist froh, dass es die Tafel gibt. "Ich bekomme schon lange Arbeitslosenhilfe, da ist das Geld knapp", sagt der 62-jährige. Ein Paket mit Lebensmitteln holt er jede Woche auch für seine zwei Nachbarn, die Sozialhilfe beziehen. Dass die Leute von der Dessauer Tafel viel Zeit und Mühe aufbringen, weiß Bruno Harnisch nur zu gut: "Sie müssen herumfahren, die Sachen einsammeln, Obst und Gemüse sortieren und putzen, dann die Pakete zusammenstellen, und alles ohne Bezahlung", sagt er anerkennend.
Ihren Sitz hat die Tafel in der Raguhner Straße59 in Dessau. Simone Lüddecke ist Geschäftsführerin und hat den Verein mit ihrem Partner aufgebaut. Als die gelernte Juristin 2001 über eine ABM bei einer Schule arbeitete, bekam sie Kontakt zu vielen Familien, denen es finanziell nicht gut geht. Kaum, dass die Kinder jeden Tag Frühstück mit in die Schule nehmen können, Obst, Joghurt oder mal eine Tafel Schokolade seien schon gar nicht drin, schildert Lüddecke die Situation, wenn eine Familie von Sozialhilfe lebt. Im Fernsehen sah sie dann einen Bericht über die Tafel in Köln. "Da dachte ich, so etwas müsste man hier auch aufbauen", erzählt sie.
Die Tafeln in Deutschland sammeln in Supermärkten, Bäckereien, Fleischereien und kleineren Geschäften Lebensmittel, deren Verfallsdatum bald abläuft oder deren Verpackungen auf dem Transport beschädigt wurden. Statt diese nur schwer oder gar nicht verkäuflichen Waren zu vernichten, geben zahlreiche Handelsketten und Einzelhändler diese als Spenden für Bedürftige ab.
Die Räume für die Ausgabestelle in der Raguhner Straße stellt die Dessauer Wohnungsgesellschaft mietfrei zur Verfügung. "Die DWG war sehr entgegenkommend", freut sich die Geschäftsführerin. Ein glückliches Händchen hatte Simone Lüddecke, als sie zuerst Kaufland in Mildensee um Lebensmittel-Spenden bat. "Der Geschäftsführer kannte die Tafeln schon und war sofort bereit, uns zu unterstützen", erinnert sich die Geschäftsführerin an ihren ersten Erfolg. Bei einigen Handelsketten treffe die Idee mit den Tafeln allerdings auf wenig Gegenliebe. Da sei sogar zu hören gewesen, man werfe die Lebensmittel lieber weg, ist Simone Lüddecke fassungslos.
Ganz anders hätten da die Plusmärkte der Region reagiert, auch Karstadt, Minimal, mehrere Bäcker, Fleischer, das E-Center in Zerbst, Rewe in Coswig und das Kühlhaus Nordfrost in Jütrichau seien inzwischen feste Anlaufstellen für die Lebensmittel-Sammler der Dessauer Tafel.
Dabei sei das für die Supermärkte auch nicht immer einfach. "Viele mussten sich erst in den Zentralen erkundigen, wie solche Spenden überhaupt gehandhabt werden können", hat Simone Lüddecke erfahren. Inzwischen haben sich sogar einige Handelsvertreter bereit erklärt, nicht verkaufte, aber für den Handel noch zugelassene Waren der Tafel zu überlassen, statt sie zurückzunehmen und zu vernichten.
Gebraucht wird vieles: Brot, Brötchen, Obst, Gemüse, Wurst, Zucker, Mehl, aber auch Waschmittel, Schokolade und andere Süßigkeiten. "Man muss ständig dranbleiben, automatisch oder anonym läuft da gar nichts", deutet Vorstandsmitglied Roswitha Hanke an, dass "Klinkenputzen" unbedingt nötig ist. "Aber wir achten auf Qualität", weist sie darauf hin, dass die ausgegebenen Lebensmittel unbedingt den Vorschriften entsprechen.
Die Dessauer Tafel hat für den Transport zwei Fahrzeuge. Täglich geht es um 8 Uhr auf Tour, letzte Station ist um 18 Uhr ein Bäcker in Coswig. 15 Leute helfen inzwischen mit. Alle sind sie arbeitslos wie Simone Lüddecke und die beiden Vorstandsmitglieder Roswitha Hanke und Margitta Gründer. "Ich sitze nicht zu Hause herum, tue etwas Gutes, und zu helfen macht mir Spaß", nennt Roswitha Hanke das Motiv, warum sie bei der Tafel mitmacht.
Ihr Vorhaben hatten die Vereinsmitglieder mit den Sozialämtern in Dessau, Roßlau und Coswig sowie mit dem Diakonischen Werk abgesprochen. "Die Zusammenarbeit ist sehr gut", lobt Simone Lüddecke. Kontakt nahmen sie auch zum Dessauer Frauenhaus, zum DRK, zur Evangelischen Stiftung Jugendhilfe und zu Jugendklubs auf. "Unser Hilfsangebot hat sich dann sehr schnell herumgesprochen", blicken die Vorstandsmitglieder zurück.
Dass sich jemand die Lebensmittelpakete holen könnte, der eigentlich genug Geld hat, halten die Frauen für ausgeschlossen. "Erst einmal ist die Hemmschwelle sehr groß. Mancher nimmt dreimal Anlauf, bevor er in die Ausgabestelle kommt", hat Roswitha Hanke beobachtet. Und dann müssen die Betroffenen ihre Bedürftigkeit auch nachweisen. In Frage kämen Obdachlose, Sozialhilfeempfänger, Alleinstehende mit einem monatlichen Einkommen unter 600 Euro und überschuldete Personen, informiert die Geschäftsführerin. Einkommen von wöchentlich 102 Euro seien keine Seltenheit. "Da überlegt sich derjenige schon, ob er zum Zahnarzt geht und die Praxisgebühr bezahlt, oder lieber für die Familie ein Brot kauft", bemerkt Roswitha Hanke. "Was wir für Leid und Schicksalsschläge sehen, ist einfach unglaublich, manch einer hat zum Monatsende selbst die zwei Euro für unser Paket nicht mehr", fügt sie hinzu und meint, die Ausgabestellen seien auch Orte der Kommunikation, weil die betroffenen Menschen oft kaum noch mit jemandem reden könnten.
Eigentlich, so sagen die drei Vorstandsmitglieder einhellig, seien sie zufrieden, wie es jetzt läuft. Einen Wunsch aber hätten sie: "Es wäre schön, wenn wir wieder eine SAM oder ABM-Kraft genehmigt bekommen würden. Bei allen anderen Tafeln klappt das, sei es in Bernburg oder Bitterfeld, nur in Dessau ist das nicht möglich."
Spendenkonto: Dessauer Tafel, Konto-Nr. 1255088 BLZ 80093574 bei der Volksbank Dessau-Anhalt.
Die Tafeln im Internet unter www.tafel.de