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Radikaler Abschied von der Kohle Radikaler Abschied von der Kohle: Fernwärme ab 2019 bei Dessauer Stadtwerken nur noch aus Erdgas

Von Steffen Brachert 29.06.2018, 06:00
Der markante Schornstein der Dessauer Stadtwerke bleibt stehen.
Der markante Schornstein der Dessauer Stadtwerke bleibt stehen. Sebastian

Dessau - Im Winter sparte der Schornstein einen Blick auf das Thermometer. In klirrend kalten Tagen quoll der Qualm in die Höhe und in die Ferne. Doch das ist bald Geschichte.

Dessaus Stadtwerke haben eine Grundsatzentscheidung getroffen: Im kommenden Winter wird im Kraftwerk auf dem Gelände der ehemaligen Gärungschemie letztmalig Braunkohle verbrannt. Ende März 2019 wird das Kohlekraftwerk abgeschaltet. Die benötigte Fernwärme wird künftig nur noch mit Erdgas erzeugt.

20 Stellen fallen bei den Dessauer Stadtwerken weg

Das hat Folgen. Zuerst für die Mitarbeiter. 20 Stellen fallen weg. „Es wurde mit dem Personalrat ein Sozialplan ausgehandelt“, sagt Stadtwerke-Chef Thomas Zänger. Doch auch die Kunden merken die Veränderung. In dieser Woche werden 1.500 von ihnen per Post die Kündigung ihrer Fernwärme-Verträge erhalten.

Was seltsam klingt, ist einfach erklärt. Die Fernwärmepreise werden mit Hilfe einer so genannten Preisgleitklausel ermittelt, die marktabhängige Komponenten enthält. Im Dessauer Fall war die Formel natürlich auch auf Braunkohle bezogen.

Die Stadtwerke müssen nun eine neue Formel erarbeiten - und wollen aktuelle Entwicklungen auf dem Markt abwarten. „Wir werden im November konkrete Aussagen über die neuen Preise treffen“, kündigt Stadtwerke-Chef Dino Höll an.

Der neue Fernwärmepreis soll weiter unter dem Durchschnittspreis der neuen Bundesländer liegen

Eines steht aber schon fest: Es wird teurer, wahrscheinlich im niedrigen zweistelligen Prozentbereich. „Wir kehren in etwa auf das 2014er Preisniveau zurück“, bestätigt Höll. Was aber nicht am Verzicht auf die Kohle liegt. Erdgas, Heizöl, Emissionsrechte: Alles ist zuletzt deutlich teurer geworden. „Das merkt jeder ja an der Tankstelle.“ Doch Zänger und Höll versichern: Der neue Fernwärmepreis werde wettbewerbsfähig sein - und soll weiter unter dem Durchschnittspreis der neuen Bundesländer liegen.

Bei den Stadtwerken haben die Vorbereitungen auf den Tag X schon vor einiger Zeit begonnen. In den vergangenen Jahren wurde im gesamten Fernwärmenetz überprüft, welche Leitungen noch gebraucht werden. Die Wärmedämmung vieler Leitungen wurde optimiert, nachdem man mit modernster Thermografie-Technik nach problematischen Stellen gesucht hatte. „Wenn Reparaturen notwendig sind, verbauen wir immer öfter moderne Kunststoffmantelrohre“, sagt Zänger.

Im April 2016 wurde zudem der Wärmespeicher auf dem Kraftwerksgelände in Betrieb genommen: Der erlaubt ein ganz anderes Kraftwerksmanagement - und hilft, die Wirtschaftlichkeit der Fernwärme zu erhalten. Denn wurden Anfang der 90er Jahre in Dessau noch über 700.000 Megawatt-Stunden Fernwärme abgesetzt, hat sich die Menge zuletzt bei 220.000 Megawatt-Stunden eingepegelt - abhängig vom jeweiligen Winter. Wichtige Firmen brachen weg, die Einwohnerzahl sank.

Neue Gasturbine im Wert von 15 Millionen Euro eingebaut

Der letzte große und teuerste Modernisierungsschritt wird gerade vollzogen: Im Innern des Kraftwerkes wird eine neue Gasturbine eingebaut. Die allein kostet 15 Millionen Euro.

Die Stadtwerke hatten mit der Neuanschaffung lange gerungen. Die alte Turbine war am 1. Januar 1996 ans Netz gegangen. Nach 22 Jahren gilt sie europaweit als eine der ältesten. 156.000 Laufzeitstunden stehen zu Buche. Bei 160.000 liegt die Grenze. Dessau hat diese fast ausgereizt.

Ende April wurde die 16,8 Tonnen schwere Nachfolger-Turbine von der schwedischen Siemens-Sparte angeliefert. Auf dem Landweg. Der Versicherer hatte eine Fährüberfahrt abgelehnt. Die neue Turbine hat ein besseres Teillastverhalten und soll die Handhabung noch flexibler machen. Der Wirkungsgrad ist höher. Mitte August soll das Teil das erste Mal ans Netz gehen. Ab März ist die Turbine voll und ganz gefordert.

70.000 Tonnen Rohbraunkohle wurden zuletzt jedes Jahr aus dem Tagebau Profen angeliefert. Das Dessauer Kraftwerk ist eines der letzten, das unbehandelte Braunkohle verbrannte. Wenn es kalt und nass war, war das eine anstrengende Arbeit für die Kollegen im Kraftwerk.

Ohne Kohle fallen künftig etwa 30.000 Tonnen Kohlendioxid-Immessionen pro Jahr weniger an

„Es wären auch Investitionen in Größenordnungen auf die Stadtwerke zugekommen“, sagt Zänger. Ohne ein Grundproblem zu lösen: Was passiert, wenn die für ein Braunkohlenkraftwerk notwendigen Co2-Zertifikate immer teurer werden? Ohne Kohle fallen künftig etwa 30.000 Tonnen Kohlendioxid-Immessionen pro Jahr weniger an. „Der Schritt ist richtig“, ist Zänger überzeugt. Und entspreche ganz am Ende auch dem Energie- und Klimaschutzkonzept der Stadt.

Was aus dem Braunkohlebereich im Kraftwerk wird, ist offen. Ein Abriss des Schornsteins ist kein Thema. „Dafür könnten sich Mobilfunkfirmen interessieren“, hofft Zänger. Aus der Höhe lassen sich einige Funklöcher schließen. (mz)