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Neubeginn Neubeginn: Geschäft zieht in einen Bauwagen

Von Carla Hanus 04.09.2002, 15:53

Dessau/MZ. - Wenn alles klappt, will Dieter Becker heute wieder sein Geschäft in Waldersee öffnen. Nicht den eigentlichen Laden an der Ecke Goltewitzer/Coswiger Straße. Dessen Räume sind noch immer vom Hochwasser gezeichnet, erst eine Woche trocken. Becker bietet Waren und Service in einem Ausweichquartier im Hof an.

Schon seit einigen Tagen steht dort der Bauwagen, den ihm ein Oranienbaumer Unternehmen zur Verfügung stellt und den ein Autohaus kostenlos nach Waldersee transportierte. Kleinmaterialien, Batterien und auch Glückwunschkarten möchte der rührige Walderseer hier verkaufen. Speziell für die älteren Leute soll die gewohnte Adresse wieder Anlaufpunkt werden, auch für Schlüsseldienst und natürlich Fahrräder. Diese haben Becker, sein Lehrling und Familienangehörige schon wieder in den einzigen Raum gebracht, der noch einigermaßen brauchbar scheint. Es ist der ehemalige Ausstellungsraum, der erst vor kurzem renoviert worden war.

Die benachbarten Zimmern indes sind inzwischen weitgehend frei geräumt, die Tapeten und Verkleidungen abgerissen. "Das haben wir alles selbst gemacht, ohne städtische Hilfe oder so." Ärgerlich klingt Beckers Stimme, wenn er durch ehemalige Büros und Ladenräume geht: Alles Kahlschlag jetzt, Chaos davor. "Hier lagen die Regale mit all den Akten in der Brühe", beschreibt Dieter Becker das Bild, das ihm noch immer vor Augen steht, das aber auch von einer Wasserkraft zeugt, die er nicht vermutet hatte. Ganz zu schweigen von der Höhe, die das Wasser erreicht hatte. Selbst in der Feinmechanik-Werkstatt, zu der vom Hof noch sechs hohe Stufen nach oben führen, hatte das Wasser zehn Zentimeter gestanden.

"Wirtschaftlicher Totelschaden", konstatiert der Gewerbetreibende. In Zahlen? Über 100 000 Euro. Als fast 60-Jährige stehe er jetzt schlechter da, als damals, als er angefangen habe, findet Becker. Seit 1985 ist der Handwerksmeister selbstständig, 1991 hatte er sich in das Eckhaus eingemietet und Schritt für Schritt, nämlich Raum für Raum, und Werkstatt für Werkstatt "ein recht ordentliches Geschäft" aufgebaut, wie er sagt. Fahrradverleih und Post, Schlüsseldienst und Briefkastenanlagen, für all das stand der Name "Fahrrad-Becker" bis noch vor drei Wochen. Sieben Mitarbeiter und ein Lehrling lebten davon. Becker musste alle entlassen: "Übrig sind mein Lehrling und ich." Sein Schwiegersohn, der bei ihm arbeitete, werde sich selbstständig machen, auch sein Sohn, gibt sich Becker zuversichtlich.

Wie es bei ihm weiter gehen werde, das jedoch weiß er nicht. Mit der Wieder-Eröffnung des Geschäfts ist noch lange nicht gesagt, dass die Kunden wieder zu ihm kommen, dass der Umsatz ausreicht. "Dieses Hochwasser ist absolut tödlich für Waldersee", denkt Becker, der seit zehn Jahren im Ortschaftsrat tätig ist. Er bezieht das nicht nur auf den wirtschaftlichen Wegbruch. "Wenn hier nicht sofort was mit den Deichen passiert, werden viele Bodenständige Lebwohl sagen", prophezeit der selbst in Waldersee geborene. Der Werteverlust der Grundstücke wäre eine Seite. Die andere: Wer will denn unter diesen Voraussetzungen noch nach Waldersee ziehen?

"Wir brauchen über Wochen und Monate kostenlose Hilfe, die beim Austrocknen der Keller anfängt und beim Instandsetzen der Wohnungen noch nicht aufhört", ist er sich sicher. Gleichzeitig befürchtet er jedoch, dass Waldersee nach einigen Wochen in Vergessenheit geraten könnte. Deshalb hofft er, dass im Stadtrat und in der Verwaltung lange genug Stimmen laut werden, die sagen: "Wir können den Ort nicht allein lassen!"