Nach Aufregung bei Essener TafelNach Aufregung bei Essener Tafel: Chef der Dessauer Tafel: Das war ein Hilferuf
Dessau-Rosslau - Mit seiner Entscheidung, keine Ausländer als neue Tafel-Kunden mehr aufzunehmen, hat der Vorsitzende der Essener Tafel, Jörg Sartor, für Aufregung gesorgt. Und viel Kritik einstecken müssen. Sylke Kaufhold sprach mit dem Chef der Dessauer Tafel, Andreas Lohpens, über das Thema.
Mit seiner Entscheidung, keine Ausländer als neue Tafel-Kunden mehr aufzunehmen, hat der Vorsitzende der Essener Tafel, Jörg Sartor, für Aufregung gesorgt. Und viel Kritik einstecken müssen. Sylke Kaufhold sprach mit dem Chef der Dessauer Tafel, Andreas Lohpens, über das Thema.
Können Sie die Entscheidung des Essener Tafelchefs nachvollziehen?
Lohpens: Das war ein Hilferuf - und ich kann das total nachvollziehen. Wenn es vor der Tür Tumulte gibt, die Leute Angst haben, dorthin zu gehen, dann muss man darauf reagieren. Für mich geht es hierbei aber nicht vordergründig um das Thema Ausländer, sondern um Benehmen. Und da gibt es - wie bei den Deutschen auch - eben welche, die sich nicht benehmen können.
Die öffentliche Schelte aber muss Jörg Sartor einstecken?
Lohpens: Ja, das ist das Hauptproblem. Wir machen vor Ort die Arbeit, kümmern uns ehrenamtlich um die Bedürftigen der Gesellschaft und müssen dafür noch Schelte einstecken. Das geht gar nicht! Die Tafeln erhalten kaum Unterstützung vom Staat und müssen um Personal- und Sachkosten immer wieder kämpfen. Wir müssen uns selber kümmern, dass Fahrzeuge da sind, Kühltechnik funktioniert, Miete, Strom und Heizung bezahlt werden. Wir werden alleine gelassen - auch mit der Flüchtlingswelle. Es kümmert niemanden, wie wir damit klar kommen.
Wie ist die Situation mit den Migranten bei der Dessauer Tafel?
Lohpens: Wir versorgen etwa 1 200 Kunden pro Woche, davon sind rund 20 Prozent Ausländer. Oberster Grundsatz ist für uns dabei die absolute Gleichbehandlung. Alle müssen sich anmelden, ihre Bedürftigkeit nachweisen und warten, bis ein Platz frei ist.
Denn nach wie vor können wir kapazitätsmäßig den Bedarf nicht decken. Mit diesem Anmeldesystem vermeiden wir einen tagaktuellen und nicht kontrollierbaren Ansturm. Jeder Kunde, der von der Warteliste auf die Versorgungsliste rutscht, wird einmal wöchentlich, immer an einem festen Tag, mit einer Lebensmittelkiste versorgt.
So lange, wie er bedürftig ist. Wir haben Kunden, die kommen schon zehn Jahre zu uns. Die Organisation handhabt jede Tafel anders.
Damit ist die Zahl der Ausländer, die zur Tafel kommen, auch in Dessau-Roßlau recht groß. Gab oder gibt es ähnliche Probleme wie in Essen?
Lohpens: Nicht so massiv, aber auch hier musste sich das Miteinander erst einspielen, gab es Maßlosigkeit und kleinere Kabbeleien. Wir konnten aber alles selbst lösen. Vergreift sich jemand im Ton und pöbelt uns an - das gilt auch für Deutsche -, gibt es klare Ansagen. Das müssen wir uns nicht gefallen lassen.
Wir mühen uns für diese Leute und haben Respekt verdient. Des Weiteren haben wir es uns zur Regel gemacht, mit den Leuten zu reden, ihnen zu erklären, warum wir etwas so und nicht anders machen. Zu den Ausgabezeiten steht jetzt ein Ehrenamtlicher an der Tür und koordiniert den Einlass, so dass es kein Gedränge im Haus gibt.
Der Helfer ist ein Syrer, der allein schon dank seiner Sprachkenntnis viel Konfliktpotenzial rausnehmen kann. Die Sprachbarriere ist die größte Hürde und die haben wir damit gut überwunden. Insgesamt sind zwei Ehrenamtliche sowie fünf Ein-Euro-Jobber mit ausländischen Wurzeln im Tafel-Team tätig. Das funktioniert gut und erleichtert das multikulturelle Miteinander.
Dank Essen stehen die Tafeln jetzt im öffentlichen Fokus. Denken Sie, dass sich dadurch etwas Grundsätzliches ändert?
Lohpens: Schön wäre es, aber ich glaube nicht daran. Es läuft doch. Wenn das gewollt wäre, hätte es längst passieren können. Man wird sich jetzt in Essen an einen Tisch setzen und über die Situation reden. Mit welchem Ergebnis, bleibt abzuwarten - und ich skeptisch.
(mz)