Mindestlohn nur auf Papier? Mindestlohn in Dessau: Gewerkschaft fordert mehr Zoll-Kontrollen in Gastronomie und Hotels

Dessau-Rosslau - Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) schlägt Alarm. „Verstöße gegen den gesetzlichen Mindestlohn werden auch in Dessau-Roßlau zu wenig geahndet“, stellt Jörg Most, NGG-Geschäftsführer für die Region Leipzig-Halle-Dessau fest.
Das zuständige Hauptzollamt in Magdeburg kontrollierte nach Gewerkschaftsangaben 2016 nur 3,7 Prozent aller Hotels und Gaststätten in der Region. Das sind 138 von rund 3 770 Gastro-Betrieben. Alleine in Dessau-Roßlau, so Most, zählt die Branche 148 Unternehmen.
Bei 48 der insgesamt 138 kontrollierten Gastro-Betriebe wurden Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen den gesetzlichen Mindestlohn eingeleitet. „Diese Zahl zeigt, dass die Zahl der Arbeitgeber, die ihren Beschäftigten den Mindestlohn vorenthalten, noch immer viel zu hoch ist“, so Most. Er fordert daher, dass der Zoll seine Kontrollen auch in der Doppelstadt dringend ausweitet.
„Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, der Mindestlohn von derzeit 8,84 Euro pro Stunde gelte nur auf dem Papier“, mahnt der Gewerkschafter. Er sieht durch stärkere Zoll-Kontrollen den Druck auf Arbeitgeber in der Gastronomie wachsen, sich an die gesetzlichen Bestimmungen zu halten.
Gegen Pauschalkritik einer ganzen Branche
Claudia Schwalenberg, Dessauer Kreisvorsitzende des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands Sachsen-Anhalt (Dehoga) sieht in der Gewerkschaftskritik eine zu pauschale Verurteilung einer ganzen Branche. „Es gibt auch bei Hoteliers und Gastwirten schwarze Schafe“, sagt die Dehoga-Kreisvorsitzende, die auch Geschäftsführerin des Dessauer nh-Hotels ist. Doch zu unterstellen, dass gegen gesetzliche Vorschriften zum seit Anfang 2015 geltenden Mindestlohn besonders in der Gastronomie verstoßen wird, weist Schwalenberg zurück.
So würde der Zoll meist aktiv, wenn mögliche Verstöße angezeigt werden. Aufgrund der konkreten Verdachtsfälle sei auch die „Trefferquote“ entsprechend hoch, so die Dehoga-Chefin. Wenn nach einer Kontrolle des Zolls ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird, könnte das auch schon wegen Fehlern in der Dokumentation der Arbeitszeiten passieren, so Schwalenberg.
Schon aufgrund des begrenzten Zoll-Personals kann es ihrer Ansicht nur Stichproben geben. Daraus die Forderung abzuleiten, mehr Kontrolleure beim Zoll einzustellen und damit eventuell permanenter zu kontrollieren, hält sie nicht für den geeignetsten Weg. Für die Dessauer Hotel- und Dehoga-Chefin zeugt das vom tiefen Misstrauen der Gewerkschaften gegenüber Arbeitgebern.
Gesetz fordert Umdenken in der Gastronomie
Das derzeit stärkste Regulativ bei Verstößen gegen den Mindestlohn, sieht Schwalenberg im Markt. „Der Konkurrenzdruck um geeignetes Personal ist besonders unter Hoteliers und Gastronomen groß. Arbeitnehmer haben meist die freie Wahl, wo sie arbeiten wollen. Wer keinen Mindestlohn oder darüber bezahlt, kann seine Stellen meist nicht besetzen“, bilanziert die hiesige Dehoga-Vorsitzende.
Da mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns nicht im gleichen Umfang die Umsätze der Gastronomen gestiegen seien, wurden meist die Öffnungszeiten und damit die Arbeitszeiten des Personals reduziert, sagt Schwalenberg. Doch ist das in ihren Augen legal und notwendig, um in den meisten Fällen überhaupt den Gastronomiebetrieb aufrechterhalten zu können. (mz)
Mit dem Gesetz zum Mindestlohn hat die aktuelle Bundesregierung einen der zentralen Punkte des Koalitionsvertrags umgesetzt. Der gesetzliche Mindestlohn gilt in ganz Deutschland flächendeckend seit dem 1. Januar 2015 für alle Branchen. Übergangsregelungen nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz, die auch Bezahlungen unterhalb dieser Grenze zuließen, liefen zum 31. Dezember 2016 aus.
Eingeführt wurde der gesetzliche Mindestlohn zum 1. Januar 2015 in Höhe von 8,50 Euro brutto pro Stunde. Seit dem 1. Januar 2017 beträgt er 8,84 Euro brutto pro Sunde.
Es gibt allerdings auch Ausnahmen beim gesetzlichen Mindestlohn. So muss er zum Beispiel Jugendlichen unter 18 Jahren, ohne Berufsabschluss oder Langzeitarbeitslosen beim Wiedereinstieg in Arbeit die ersten sechs Monate nicht gezahlt werden.