Mephisto und kein Ende
Dessau/MZ. - Dass die vielen Jahre tatsächlich vergangen sind, wurde dem Schauspieler, der bisher rund 160 Theater-Rollen gespielt hat, vorigen November in Potsdam-Babelsberg bewusst. Man hatte ihn, Simone von Zglinicki, Christian Steyer, Ursula Staack, Norbert Christian und weitere Darsteller des DEFA-Films "Für die Liebe noch zu mager" (1971) zu einem Drehtag in den Filmpark geholt. Entstanden sind dokumentarische Bonus-Szenen zum Film, der ab Mitte März als DVD erhältlich ist. Es sei schon seltsam gewesen, die alten Drehorte kannte er noch wie seine Westentasche. An Filmen wie "Rottenknechte" (Regie Frank Beyer), "Solo für Martina", "Gläserne Fackel" und vier weiteren in Babelsberg entstandenen Streifen der DEFA habe er mitgewirkt. "Aber wir alle sind doch älter geworden, einige auch etwas breiter", stellt Thiele schmunzelnd fest.
In einem Ort bei Elsterwerda als Sohn eines Handwerkers geboren, sollte Karl Thiele eigentlich auch einen handfesten Beruf ergreifen. Dass dies nicht das Richtige für ihn wäre, merkte er nach zwei Semestern Baustudium. "Wir wohnten einfach zu nah an einem Theater", sieht er als Ursache, warum die Liebe zur Schauspielerei in ihm siegte. Aus einem Heer von 750 Bewerbern bestand er als einer von zwölf Glücklichen 1967 die Aufnahmeprüfung der Hochschule für Film und Fernsehen der DDR. Nach Abschluss des Studiums 1971 sollte das Dessauer Theater eigentlich nur eine Zwischenstation werden.
Die Stadt, die damals noch viele Kriegswunden trug, das große Theater, die wuchtigen Neubauten, das alles schreckte ihn. Dass er blieb und sich heute als "in Dessau verwurzelt" bezeichnet, hat mit einer kulturpolitischen Entscheidung der DDR-Führung zu tun. "Auf einmal bekamen wir alle feste Verträge", blickt Thiele zurück. Ein Umstand, der ihn zum Bleiben animierte. Wie die gemeinsame Arbeit mit seinen Kollegen Helmut Straßburger und Ernstgeorg Hering, die er von der Berliner Volksbühne kannte. Wie wenig später die Inszenierung "Die letzte Seite im Tagebuch", die dem blutigen Anfänger Thiele übertragen wurde.
Seither führte er in etwa 40 Inszenierungen selbst Regie, schrieb die Dramaturgie für Märchenaufführungen wie "Schneeweißchen und Rosenrot", "Die Schöne und das Tier" (Publikumspreis "Theo" der MZ) und zuletzt "Der König der sieben Schleier". Solche Märchenaufführungen, für Kinder und Erwachsene gleichermaßen inszeniert, seien für ihn stets eine besondere Herausforderung.
Wie wohl auch die Aufführung "Das Tagebuch der Anne Frank". "Hier bin ich der Geschichte verpflichtet", kennzeichnet Thiele das Besondere an dieser Regiearbeit. Künstlerische Freiheit und Experimentierfreudigkeit hätten bei dem Stück hinter der Wahrhaftigkeit zurückzustehen. "Das ist für mich keine Einengung. Ich versuche, die damalige Situation nachzuempfinden und in Theater umzusetzen". Das sei nicht einfach, so Thiele, auch nicht für die Schauspieler, die ja weder Krieg noch Faschismus erlebt hätten. Dennoch, "dieses Thema ist nicht überholt und muss an künftige Generationen weitergegeben werden", meint er.
Engagement, auch politisches, zeigt Karl Thiele nicht nur auf der Bühne. Er mischt sich ein, als langjähriges Mitglied des Theaterausschusses und des Personalrats. Und hat mit Hunderten Prominenten einen Aufruf zur Aufnahme der Kultur in das Grundgesetz unterschrieben. "Kultur sollte nicht als freiwillige Leistung im Haushalt der Kommunen stehen, sondern als Pflichtleistung verankert werden", fordert der Schauspieler. Man sehe ja, wie die Haushalte ständig eingeengt werden, "und was übrig bleibt, kriegt die Kultur". Man dürfe hier nicht locker lassen sagt Thiele und meint hoffnungsvoll: "Steter Tropfen höhlt den Stein".
Fällt der Name Karl Thiele, so ist den Theaterbesuchern vor allem eine Rolle sofort gewärtig: Der Mephisto im Faust I. "Es ist ein großes Glück, mit einer solchen Rolle beschenkt zu werden", sagt Thiele, der den Mephisto seit 13 Jahren verkörpert. "Da lebt man mit so einer Rolle", gesteht der Mime.
Inzwischen gibt es sogar einen Dokumentarfilm darüber, wie er sich in die teuflische Figur verwandelt, äußerlich und seelisch. Den Film hat sein Sohn Thomas gedreht als Abschlussarbeit seiner Ausbildung zum Mediengestalter. Er gab ihm den Titel "Mephisto und kein Ende".