"Kein Zoo - hier wohnen Menschen" "Kein Zoo - hier wohnen Menschen": Anwohner der Siedlung Törten in Dessau von Touristenströmen zum Bauhausjubiläum genervt

Dessau - In der Dessauer Bauhaussiedlung Törten hat sich Frust gegen Touristen aufgestaut. Die experimentelle Siedlung, 1926 bis 28 unter Leitung von Walter Gropius im Süden der Stadt errichtet, zieht im Bauhausjubiläumsjahr mehr Besucher an als je zuvor. Nun sorgt dort ein Schild mit der Aufschrift „Es ist kein Zoo - hier wohnen Menschen“ für Erstaunen. Es fordert Touristen auf, sich zu benehmen.
Gehwege und Straßen sind oft durch Touristen dicht
Das Schild mit den Hinweisregeln für Besucher steht direkt neben dem Haus Anton in der Doppelreihe. Das ist ein besonderes Kleinod in der Siedlung. Als einziges Gebäude ist es weitgehend im Originalzustand erhalten. Seit 2012 gehört es zur Stiftung Bauhaus. Es kann im Rahmen von Architekturführungen auch innen besichtigt werden.
„Unser Vorgarten wird als Aufstellfläche für Touristen genutzt“, empören sich Cordula und Mario Wödy, die das Schild aufgestellt haben. Als sie im Jahr 2000 in die Siedlung zogen, lebte ihre Nachbarin Frau Anton noch. „Da war hier kein Museum.“ Wödys hadern mit Touristen, die Gehwege und Straßen blockieren. „Wir müssen betteln, um an unsere Haustür zu kommen“, sagt Cordula Wödy. In ihrem Vorgarten würden Kinder spielen, die fotografierenden Eltern das aber nicht interessieren.
„Natürlich ist es schön fürs Bauhaus, wenn die Häuser Interesse finden. Doch das ist immer noch unser Zuhause“, betont das Ehepaar. Die Touristen sollten sich so benehmen, dass sich Anwohner nicht gestört fühlen. „Wenn wir woanders sind, erwartet man das ja von uns auch.“
Hat die Stiftung Bauhaus das Gespräch mit den Anwohnern verweigert?
Was Wödys ebenfalls stört sind Besucher im Haus Anton. Das hat eine Stahltreppe. Jeden Schritt würden sie vernehmen. Zwar hätten sie sich mehrmals bei der Stiftung Bauhaus beschwert, „doch es interessiert niemanden, wie es uns geht“.
Dass aber gerade die Stiftung das Gespräch mit den Anwohnern sucht, „das setze ich voraus“, sagt Robert Reck, städtischer Dezernent für Wirtschaft, Kultur und Sport. „Man muss die Menschen einbeziehen.“ Er bezweifelt, dass das Schild „eine angemessene Reaktion ist“. Willkommenskultur sehe anders aus.
Bisher hätten die Anwohner in Ruhe gelebt, „wenn man plötzlich im Hotspot steht, dann ist das befremdlich“, bringt Ulrike Lippe, Pressesprecherin der Stiftung Bauhaus Verständnis für die Anwohner auf. Auch im Bauhausgebäude würden die Mitarbeiter das gesteigerte Interesse merken. „Die Leute kommen selbst ins Büro.
Bislang wurden jährlich rund 100.000 Besucher gezählt
Auch wir merken, dass man die Tür zu machen muss.“ Das zeige, Dessau mit seinem einzigartigen originalen Bauhauserbe stehe hoch im öffentlichen Interesse. Doch es gibt eben auch das Privatinteresse. „Man muss schauen, wie man das ins Gleichgewicht bekommt“, sagt Lippe. Man wolle ebenfalls in kommenden Jahren Touristen in die Stadt locken, „auch nach Törten“.
Wie viele Touristen in diesem Jahr bereits die Siedlung besuchten, kann die Stiftungssprecherin nicht sagen, nur, dass es Besucherrekorde insgesamt gibt. Wurden bislang jährlich um die 100.000 Besucher gezählt (in Bauhaus, Meisterhäusern, Siedlung Dessau-Törten), wird 2019 die Zahl weit übertroffen.
Besucheransturm hat keinen Mehrwert für Bewohner
Zu Fuß, mit dem Fahrrad oder motorisiert - auch Sirko Pfitzer, Vorsitzender des Interessenverbandes Gropiussiedlung, hat eine „krasse Zunahme“ des Touristenstroms ausgemacht. Doch die Fußwege seien oft zu schmal, weshalb die Gruppen vielfach auch auf der Straße unterwegs sind. „Teilweise stehen Busse in den engen Straßen“, hat Pfitzer beobachtet. Einen Busparkplatz gibt es nicht. Der ist - mitten im Jubiläumsjahr - noch im Bau.
Natürlich seien Touristen in der Siedlung willkommen. „Aber auch wenn 500 am Tag kommen, bringt das keinen Mehrwert“, stellt er fest. Der Vorsitzende des Interessenverbandes spielt auf das Aussehen der Siedlung an. Die sei zwar bei Touristen, aber bislang nicht bei der Stadt im Fokus. So seien Fußwege nicht in Ordnung. Die Doppelreihe sei, obwohl die Kanäle saniert wurden, nicht ausgebaut worden. Der Zustand der Straße sei katastrophal. „Einmal im Jahr könnte man mit der Stadt und der Stiftung Bauhaus eine Begehung machen“, schlägt er vor, „damit die Verantwortlichen wissen, was es für Anliegen und Probleme gibt und die klären.“ (mz)
Die Bauhaussiedlung Törten entstand von 1926 bis 1928. In drei Bauabschnitten wurden 314 Reihenhäuser in drei verschiedenen Grundtypen errichtet. Aufgrund von Bau- und Planungsmängeln hat die Siedlung ihr einst einheitliches Aussehen verloren.
Originalgetreu wiederhergestellt wurde 1992 als erstes das Haus Mittelring 92, heute Sitz der Moses-Mendelssohn-Gesellschaft. Originale Zeugnisse finden Besucher auch im Haus Anton (Doppelreihe 35 (im Rahmen von Führungen) oder im Kleinring 5.

