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Integration in Dessau-Rosslau Integration in Dessau-Rosslau: "Das ist für uns eine Chance"

Von Steffen Brachert 10.08.2015, 19:09
In der Zast in Halberstadt wurden Zelte aufgebaut.
In der Zast in Halberstadt wurden Zelte aufgebaut. DPA Lizenz

Dessau-Rosslau - Donnerstag war Peter Kuras selbst vor Ort. „Die Zast“, sagte Dessau-Roßlaus Oberbürgermeister, „platzt aus allen Nähten.“ Die Zast ist die Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber in Sachsen-Anhalt und hat ihren Sitz in Halberstadt. Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) hatte die Oberbürgermeister und Landräte des Landes dorthin zu einer Beratung eingeladen. Ganz bewusst. „Wir sollten einen Eindruck vor Ort bekommen.“ Und wie ist der? „Dort herrscht Ausnahmezustand. Und es ist nicht absehbar, dass sich daran etwas ändert.“

Verteilung nach Schlüssel

1 800 Flüchtlinge waren am Montag in der Halberstädter Zast untergebracht - und werden in den nächsten Tagen und Wochen auf die Landkreise und kreisfreien Städte verteilt. Nach dem Königsteiner Schlüssel, der Steuereinnahmen und Einwohnerzahl berücksichtigt und jedes Jahr neu berechnet wird. Für Deutschland: 2015 muss Nordrhein-Westfalen mit 21,2 Prozent die meisten Asylbewerber aufnehmen. Sachsen-Anhalt bekommt 2,9 Prozent aller Asylbewerber zugeteilt. Im Land greift dann ein neuer Schlüssel: 4,1 Prozent der Flüchtlinge kommen nach Dessau-Roßlau.

 Die Stadt hat bis zum 31. Juli dieses Jahres 248 Asylbewerber aufgenommen. Diese Zahl nannte Stadtsprecher Carsten Sauer auf MZ-Anfrage. „Es sind mehr als in den vergangenen Jahren, aber es sind noch nicht dramatisch mehr.“ Im Jahr 2014 hatte die Stadt insgesamt 296 Asylbewerber aufgenommen. 2013 waren es 127 gewesen, 2012 nur 77, im Jahr 2011 lag die Zahl bei 47.

Dass die Unterbringung der Flüchtlinge in Dessau-Roßlau bislang ohne große Probleme gelingt, hat einen einfachen Grund: Die Stadt setzt seit vielen Jahren auf eine dezentrale Unterbringung. Für die 248 neuen Asylbewerber wurden 127 Wohnungen angemietet - 123 davon beim städtischen Vermieter DWG, mit dem eng und gut zusammengearbeitet wird, vier bei privaten Vermietern. Eine Vorgabe wird versucht einzuhalten: Es sollen nicht mehr als zwei Flüchtlingsfamilien pro Wohnungsaufgang untergebracht werden.

„Das Problem der vielen leeren Wohnungen ist derzeit unser Vorteil“, sagt Kuras. Eine grundsätzliche Abkehr von der dezentralen Unterbringung ist nicht geplant. „Wir denken darüber nach, eine Gemeinschaftsunterkunft einzurichten, um kurzfristig reagieren und die Verteilung der Flüchtlinge besser organisieren zu können“, erklärt Kuras. Denn: „Die Vorwarnzeit der Zast wird immer geringer.“

Per Dienstanweisung hat Kuras in dieser Woche eine Koordinierungsgruppe gebildet - mit Vertretern von Sozialamt und Ausländerbehörde, mit der DWG, dem Jobcenter und der St. Johannis GmbH, die sich in Dessau-Roßlau um die Betreuung der Flüchtlinge kümmert. Eines steht für den Oberbürgermeister fest: „Was die Leute da bislang geleistet haben, ist beeindruckend. Wir können aber niemandem die Hoffnung geben, dass es weniger wird. Im Gegenteil.““

Dessau-Roßlau stellt sich dieser Aufgabe. „Wir sind die drittälteste Stadt Europas. Die neuen Bürger sind für uns eine Chance“, sagt Kuras und geht sogar noch einen Schritt weiter. 8 600 Euro geben Land und Bund für jeden Asylbewerber. Darin enthalten sind Miete und eine Erstausstattung der Wohnung. „Ganz am Ende“, sagt der Oberbürgermeister, „ist das ein großes Konjunkturprogramm. Wir erhalten Infrastruktur, bekommen Wohnungen vermietet. Es gibt Aufträge für Handwerker. Wir sichern Schul-Standorte. Es gibt viele, viele positive Effekte.“ Und wenn die 8 600 Euro nicht reichen? „Wir sehen Bund und Land ganz klar in der Pflicht, dann einzugreifen.“

Kuras hat klare Forderungen an Magdeburg und Berlin: „Die Flüchtlinge aus sicheren Drittstaaten müssen zügig zurückgeführt werden, damit wir uns um die wirklich Bedürftigen kümmern können“, sagt der Oberbürgermeister. In Dessau-Roßlau kommt derzeit ein Drittel der Asylbewerber aus dem Balkan. Die Anerkennungsquote geht bei ihnen gegen Null. „Es wäre sinnvoll, diese Flüchtlinge gar nicht erst auf die Landkreise und kreisfreien Städte zu verteilen“, findet Kuras. „Doch das bekommt die Zast in Halberstadt derzeit nicht hin.“ Das Problem müsse aber gelöst werden, „um mehr Akzeptanz bei der Bevölkerung zu finden“. Klar sei: Man dürfe auf die Kritiker nicht nur einprügeln. „Es geht darum, mit Offenheit und Transparenz auch Verunsicherungen und Vorurteile abzubauen. Und es geht darum zu sagen: Wir bevorteilen keinen. Wir vergessen niemanden.“

Die Stadt Dessau-Roßlau setzt dabei auch auf freiwillige und ehrenamtliche Helfer. „Wir haben hier ein sehr dichtes Netzwerk, ohne dass all das nicht möglich wäre“, lobt Kuras die vielen Helfer, die seit Wochen im Einsatz sind.

Ehrenamtliche helfen vor Ort

Im September soll die in den Ferien geschlossene „Sachenbörse“ in Absprache mit der DWG an einem neuen, größeren Standort eröffnet werden. „Kindersachen, Töpfe, Besteck, so etwas wird immer gebraucht“, sagt Ulrike Wohlfahrt, die Integrationsbeauftragte der Stadtverwaltung. Sperrige Möbel eher nicht. Groß ist das Engagement auch in der Ehrenamtsbörse im Bürger-, Bildungs- und Freizeitzentrum in der Dessauer Erdmannsdorffstraße, die viele Angebote gerade für Kinder unterbreitet. „Die Kinder“, so Kuras, „sind der Schlüssel bei den Familien. Die brauchen wir für eine erfolgreiche Integration. Und die ist unser Ziel.“ (mz)