Immer weniger Auszubildende Friseurnachwuchs in Dessau: Warum will niemand mehr Friseur werden?

Dessau - Am 1. September feierte Birgit Herzau ihr 31-jähriges Berufsjubiläum als Friseurin und weiß eines mit Gewissheit: „Das ist noch heute mein Traumberuf.“
Eine Aussage, die heute nur noch selten zu hören ist, denn das Handwerk mit Kamm, Schere und Fön ist nur noch für sehr wenige junge Menschen der Traumberuf.
Trauriger Rekord dieser Entwicklung ist die Tatsache, dass in diesem Sommer nur eine Auszubildende ihren Gesellenbrief in Empfang nehmen konnte. Ihre acht Klassenkameraden haben auf der Strecke aufgegeben.
Von 80 auf zwei Berwerbungen pro Jahr
Was keine Ausnahme ist, sondern vielmehr einen Trend widerspiegelt, wie die Innungsobermeisterin der Dessau-Roßlauer Friseure verdeutlicht. In ihrem Unternehmen, der Haar- ID „Ihr Friseur Dessau“ GmbH, mit acht Salons gab es für das neue Ausbildungsjahr im August zwei Bewerbungen für eine Lehrstelle. „Vor zehn Jahren hatten wir 80“, so Herzau. Insgesamt haben in der Region - Dessau-Roßlau, Wittenberg, Bitterfeld - am 1. August 20 junge Menschen eine Friseurausbildung angefangen.
„Viele kommen mit falschen Vorstellungen“
An fehlenden jungen Leuten liege das aber nicht, weiß Herzau. „Ich sehe da andere Gründe für den Rückgang“, so die erfahrene Kollegin, die viele Azubis kommen und gehen sah.
„Viele kommen mit falschen Vorstellungen, ihnen ist nicht bewusst, dass Friseur ein Handwerk ist, das man von der Pike auf lernen muss.“ Auch das Pflichtbewusstsein der jungen Leute ließe zu wünschen übrig, ebenso wie der Wille, etwas bis zum Ende durchzustehen, auch wenn es mal schwierig ist.
Nach Meinung Herzaus wird diese Einstellung allerdings indirekt auch gefördert. „Die Azubis können bis zum 27. Lebensjahr ohne Begründung ihre Lehre abbrechen und etwas Neues anfangen. Warum sollen Sie sich also anstrengen.“
Fast 70 Prozent brechen ihre Ausbildung ab
Die Zahlen geben ihr recht: Sachsen-Anhalt hat die meisten Ausbildungsabbrecher. Und mit 68 Prozent nimmt das Friseurhandwerk auf dieser Liste die Spitzenposition ein. „Das ist erschreckend und macht ernsthaft Sorge für die Zukunft.“
Im Dessauer Berufsschulzentrum „Hugo Junkers“ ist der Lehrsalon bereits seit zwei Jahren geschlossen. 2014 haben die letzten sieben Auszubildenden hier ihre Ausbildung abgeschlossen.
Noch vor fünf Jahren erhielten bei Freisprechungen 20 bis 30 junge Friseure ihre Gesellenbriefe. „Es fehlen die Bewerber“, konstatiert Schulleiter Andreas Heide den Wegfall der Friseurausbildung in der Junkersstraße. Lediglich drei Bewerbungen habe es zum Beispiel für das neue Schuljahr gegeben.
„Dessau, Wittenberg und Bitterfeld bekommen zusammen gerade so eine Klasse zusammen. Da Dessau die wenigsten Bewerber hat, sind wir für die Friseurausbildung aus dem Rennen“, erklärt er, dass die Berufsschüler nach Bitterfeld oder Wittenberg fahren müssen.
Es muss mehr Lobbyarbeit geleistet werden
Eine Chance, dass die Schülerzahl wieder steigen könnte, sieht Andreas Heide indes nicht und sieht den Grund dafür in der fehlenden Attraktivität des Berufes. „Friseur war viele Jahre ein Selbstläufer, ist jetzt aber nicht mehr der Traumberuf der Mädchen. Es müsste also Lobbyarbeit betrieben werden, ähnlich den Pflegeberufen.“ Dort seien die Schülerzahlen steigend.
Birgit Herzau pflichtet dem Berufsschulleiter bei. „Unserem Handwerk fehlt die Lobby.“ Eine wesentliche Ursache für den Rückgang der Bewerberzahlen sieht die Innungsobermeisterin außerdem in der Ausbildungsvergütung.
Lehrlingslohn ist zu gering
„Der Lehrlingslohn ist nicht an den Mindestlohn angepasst worden.“ Was bedeutet, dass Lehrling im ersten Jahr mit 154 Euro entlohnt werden und sich im dritten Jahr auf 234 Euro „hochgearbeitet“ haben.
Wenn dann noch Fahrtkosten zu bestreiten sind, „ist das für viele einfach nicht leistbar“, so Herzau. In kleineren Salons müssten zudem auch noch die Arbeitsmaterialien angeschafft werden. „Unterm Strich muss man das erstmal drei Jahre finanziell stemmen können, denn leben kann davon keiner.“
Das Lehrlingsgeld anzuheben und einheitlich zu gestalten steht für die Innungsobermeisterin deshalb als wichtige Aufgabe, soll der Berufsstand nicht langfristig gefährdet werden. Gestandene Kollegen hätten mit dem Mindestlohn jetzt ein gutes Auskommen, schätzt Birgit Herzau ein. (mz)