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Flüchtlinge im Raum Dessau-Roßlau-Wittenberg Flüchtlinge im Raum Dessau-Roßlau-Wittenberg: Edner: "Am Arbeitsmarkt ist Platz für alle"

02.02.2016, 18:11
Flüchtlinge lernen Deutsch im Alltag für Anfänger.
Flüchtlinge lernen Deutsch im Alltag für Anfänger. Frank Gehrmann Lizenz

Dessau - Etwa 1.500 Flüchtlinge besuchen derzeit im Arbeitsagenturbezirk Dessau-Roßlau-Wittenberg einen Sprachkurs. Nehmen sie uns dann die Arbeitsplätze weg? Haben die Geflüchteten einen Beruf gelernt? Können und wollen sie überhaupt arbeiten oder leben sie lieber auf Kosten des Staates?

Fragen, die in diesen Tagen vielfach gestellt werden. MZ-Redakteurin Sylke Kaufhold sprach mit der Chefin der Arbeitsagentur Dessau-Roßlau-Wittenberg über das Thema Flüchtlinge und Arbeitsmarkt.

Wann dürfen Geflüchtete in Deutschland eine Arbeit aufnehmen?

Edner: Wir unterscheiden Flüchtlinge aus sicheren und aus unsicheren Herkunftsländern. Nach Inkrafttreten des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes am 25. Oktober 2015 arbeiten wir als Arbeitsbehörde hauptsächlich mit Flüchtlingen, die aus unsicheren Ländern, also aus Syrien, Irak, Iran und Eritrea kommen. Flüchtlinge aus sicheren Ländern, Afghanistan, Serbien, Kosovo und Albanien verbleiben nach dem neuen Gesetz bis zur Abschiebung in den Zentralen Aufnahmestellen. Geflüchtete, die aus diesen Ländern vor dem 25. Oktober 2015 nach Deutschland kamen und den Status „geduldet“ haben, können auf dem Arbeitsmarkt vermittelt werden.

Welche Fördermaßnahmen bietet die Arbeitsagentur den Flüchtlingen an?

Edner: Bei ihrer Ankunft nehmen sie sofort an einem achtwöchigen Sprachförderkurs teil. Hier arbeiten wir sehr eng und gut mit den Bildungseinrichtungen zusammen. Im November sind die ersten Kurse gestartet, der letzte begann am 31. Dezember. Auch an einem Integrationskurs können die Flüchtlinge nahtlos teilnehmen oder ein Praktikum in einem Betrieb absolvieren. Eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung können sie aufnehmen, wenn sie mindestens drei Monate in Deutschland sind.

Welchen Ausbildungen, Berufe oder Berufserfahrungen haben die Flüchtlinge, die in Dessau angekommen sind?

Edner: Sie kommen vorwiegend aus Handwerksberufen wie Fliesenleger, Kfz-Mechaniker, Schweißer oder dem Gastroservice. Man muss aber wissen, dass es eine Berufsausbildung wie wir sie kennen in diesen Ländern nicht gibt. Sie haben in diesen Tätigkeiten gearbeitet und Erfahrungen gesammelt. Mit dabei sind auch Ärzte, ein Mathematiker und ein Informatiker. Hier läuft gerade der Abgleich ihrer Kenntnisse. Unser Partner ist dabei unter anderem die Hochschule Anhalt, die ein Expertenteam gebildet hat. Wir wollen auch denen eine Chance geben, die ein Abschlusszeugnis ihres Studiums aufgrund der Flucht nicht vorlegen können.

Wie erfasst die Arbeitsagentur den Bildungsstand?

Edner: Wir gehen in die Sprachförderkurse und führen dort ein Profiling mit den Geflüchteten durch. Hier findet auch ein Erstgespräch mit den Vermittlern statt, wo geklärt wird, wer wo hinpassen könnte. Ist die Drei-Monats-Frist vorbei, können wir die Flüchtlinge in Weiterbildungsmaßnahmen vermitteln, wo sie ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten verbessern können. Im Idealfall wird so eine Maßnahme mit einem Minijob in der Branche kombiniert.

Welche Erfahrungen die Arbeitsagentur hinsichtlich der Motivation der Flüchtlinge gemacht hat, lesen Sie auf Seite 2.

Wie stehen regionale Firmen der Beschäftigung von Flüchtlingen gegenüber?

Edner: Eine prinzipielle Ablehnung gibt es nicht. 65 Firmen haben bis jetzt ihre Bereitschaft erklärt, Flüchtlinge einstellen zu wollen. Andere sind noch unschlüssig und beobachten die Entwicklung. Die Firmen haben sich zum Teil selbst bei uns gemeldet, andere wurden von unseren Vermittlern gezielt angesprochen. Die Firmen sind in den Branchen Hotel-und Gaststätten, Gebäudereiniger, Pflege, Bau, Tischlerei und Ernährungsindustrie tätig.

Und wie motiviert sind die Flüchtlinge, eine Arbeit aufzunehmen?

Edner: Sie bringen eine hohe Motivation mit. Lediglich bei der Erstausbildung für Jugendliche gestaltet es sich schwieriger, denn eine Berufsausbildung ist in ihren Ländern unbekannt und sie sollen hier arbeiten und Geld verdienen für ihre Familien in den Heimatländern. Da brauchen wir Geduld. Ein „Tag der Flüchtlinge“, wo wir zu den Themen Arbeit, Beruf, Ausbildung, Studium informiert haben, fand große Resonanz. Statt der 35 angemeldeten kamen 70 Flüchtlinge, um sich zu informieren. Das zeigt uns, dass der Informationsbedarf groß ist. Deshalb werden wir demnächst regelmäßige Sprechtage für Flüchtlinge im Berufsinformationszentrum anbieten. Für April/Mai planen wir eine Jobbörse für Flüchtlinge. Da können sich Flüchtling und Firma persönlich kennenlernen.

Müssen die einheimischen Arbeitssuchenden angesichts der vielen Flüchtlinge jetzt zurückstecken?

Edner: Nein, es wird keine Abstriche an der Betreuung der deutschen Arbeitssuchenden geben. Und es wird auch kein Flüchtling einem Deutschen den Arbeitsplatz wegschnappen, denn am Arbeitsmarkt ist Platz für alle. Wir haben derzeit 418 Männer und Frauen im Alter von 15 bis 65 Jahren in der Betreuung, deren Asylverfahren positiv beschieden wurde oder die mehr als drei Monate hier sind. Es geht also nicht um das Entweder/Oder, sondern um das Sowohl als auch. Und wir fühlen uns gut vorbereitet für die große Aufgabe. (mz)

Arbeitsagentur-Chefin Sabine Edner.
Arbeitsagentur-Chefin Sabine Edner.
MZ/Archiv Lizenz
Das Schild "Agentur für Arbeit"
Das Schild "Agentur für Arbeit"
dpa Lizenz