Familienforschung Familienforschung: Das Erbe des Zerbster Onkels
Dessau/MZ. - Mathilde sei Dank. "Dass die Verbindung zu den Jünemännern im Westen nie ganz abgerissen ist, war ihr Verdienst." Elf Jahre ist Mathilde tot, und lange Zeit fand sich niemand, der so etwas wie Familiensinn im großen Stil entwickelte und die weit verzweigte Verwandtschaft hin und wieder zusammenrief. Norbert Franz Jünemann kann sich von dieser Kritik nicht ausnehmen. Die Verwandtschaft sei groß, zu groß womöglich. Mathilde jedoch lebte diesen Familiensinn trotz allem.
Was Mathilde, eine Cousine, einst aufgebaut hatte, soll nicht umsonst gewesen sein. Und der in Dessau lebende Jünemann, 58 Jahre alt, hat längst den nötigen Ehrgeiz entfacht für ein umfangreiches und zeitaufwändiges Unterfangen.
Fast schon besessen arbeitet er seit einiger Zeit an der Jünemannschen Ahnengalerie. Wie schwierig es sein würde, diese lückenlos zu erstellen, hat der arbeitslos gewordene Ingenieur recht bald erkennen müssen. Für zehn Mark kaufte er ein Computer-Programm für seine groß angelegte Ahnenforschung. Dass es "ein paar interessante Leute" in der Verwandtschaft gegeben hatte, blieb ihm nicht verborgen, was seine Euphorie nur noch mehr steigerte. In den Mittelpunkt seines Tuns rückte der Laien-Forscher Paul Jünemann, nicht seinen Vater, der ebenfalls Paul hieß, sondern einen Cousin desselben. Ihm, dem Kunstmaler aus Zerbst, will er postum zu mehr Anerkennung verhelfen.
Als Kind, räumt er ein, hätte er sich wenig um die Arbeit des Onkels geschert. An eine Ausstellung jedoch will er sich erinnern. Im ehemaligen Dessauer Pionierhaus in der Johannisstraße seien die Bilder gezeigt worden. Norbert Franz Jünemann kam damals gerade in die
Oberschule, und sein Interesse, es fiel eher verhalten aus. Mittlerweile bedauert der Familienvater, als es möglich gewesen war, den Kontakt nicht gepflegt zu haben. "Wir hatten in Dessau schon viele Verwandte", wirft er erklärend ein. Zerbst war gewissermaßen außer Reichweite. "Ich wollte immer mal Kontakt aufnehmen, habe es aber nie getan." Ärgerlich sei dies - aus heutiger Sicht. Nichtsdestotrotz fühlt sich Norbert Franz Jünemann einem Ziel ganz besonders verpflichtet: Die Bilder des Zerbster Kunstmalers noch einmal in einer Ausstellung zu zeigen.
Per Testament hatte der seinen künstlerischen Nachlass der Staatlichen Galerie Schloss Georgium vermacht, was der Verwandtschaft Rätsel aufgegeben hatte. Eine "vernünftige Erklärung", warum der in Zerbst am 17. März 1891 Geborene gewissermaßen sein einziges Vermögen einer Dessauer Institution hinterließ, fehlt Norbert Franz Jünemann bis heute. "Anfangs", erzählt er, "dachte ich, er lag mit den Zerbstern im Clinch." Doch dem scheint nicht so. Nach wie vor hängen im Museum der Kreisstadt ständig zwei bis drei Bilder. Eines zeigt einen Teil der Fassade vom alten Rathaus. Wie Jünemann, der Kunstgewerbeschulen in Dessau und Magdeburg besuchte, an der Hochschule für Bildende Kunst Weimar studierte, sich überhaupt für Häuserzeilen und Stadtansichten begeisterte.
Schätzungsweise 200 Zeichnungen und Druckgrafiken sollen vom einstigen Bauhaus-Schüler Jünemann - 1919 schrieb er sich in Weimar für ein Sommersemester Naturschule ein - noch existieren. "Wir haben sie alle durchgesehen, registriert und bewahren sie jetzt auf", schildert die Leiterin der Graphischen Sammlungen in Dessau, Helga Heise. Nach Jünemanns Tod am 13. März 1969 gingen die künstlerischen Arbeiten, wie testamentarisch verfügt, in den Besitz der Sammlung über. Zeitgeschichtlich seien die Bilder für die Region sicher von Interesse, glaubt Heise, darüber hinaus offenkundig nicht. Hat der Zerbster doch vorwiegend seine nähere Umgebung auf Papier festgehalten. Einige Bilder erzählen beispielsweise Geschichten aus seiner nach dem Zweiten Weltkrieg zerstörten Heimatstadt. Viele zeigen auch die Menschen, die ihn umgeben haben. Was er zeichnete, war stets "sehr realistisch", so Heise. Einige ganz wenige abstrakte Versuche würde der Jünemannsche Fundus allerdings auch bergen.