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Engpässe bei Lieferung Engpässe bei Lieferung: Einige Arzneimittel in Apotheken und Kliniken in Dessau-Roßlau nicht verfügbar

Von Detmar Oppenkowski 06.11.2019, 06:00
Martin Grünthal, der die Apotheke am Bauhaus und im Dessau-Center betreibt, hat mit Ulrike Borutzki extra eine Mitarbeiterin eingestellt, die sich um das Medikamentenmanagement kümmert.
Martin Grünthal, der die Apotheke am Bauhaus und im Dessau-Center betreibt, hat mit Ulrike Borutzki extra eine Mitarbeiterin eingestellt, die sich um das Medikamentenmanagement kümmert. Thomas Ruttke

Dessau-Roßlau - Frustriert schaut Martin Grünthal auf seinen Computer-Bildschirm. Eigentlich muss der Pharmazeut, der die Apotheke am Bauhaus und im Dessau-Center betreibt, wichtige Medikamente für seine Kunden ordern.

Doch die Bestellsoftware des Computers, die per Standleitung direkt mit dem Großhandel verbunden ist, zeigt bei den benötigten Schmerzmitteln, Blutdrucksenkern oder Säureblockern statt grüner Verfügbarkeits-Häkchen nur rote Kreuze. „Die Liefer- und Versorgungsengpässe von Präparaten nehmen zu“, konstatiert Grünthal und spricht von Dutzenden so genannter „Dauerdefekten“. Das sind jene Medikamente, die dringend benötigt werden, aber weder in Dessau-Roßlau noch andernorts verfügbar sind.

Nicht nur für Grünthal und seine knapp 600 Kollegen in Sachsen-Anhalt gehört der Mangel mittlerweile zum Alltag, auch die Kliniken bekommen diese Entwicklung zu spüren. „Insgesamt ist die Versorgung unseres Hauses mit Arzneimitteln in den vergangenen Monaten deutlich aufwendiger geworden“, sagt Marion Puttkammer. Sie ist die Leiterin der Krankenhausapotheke des Städtischen Klinikums Dessau und skizziert die Dimension des Problems: „Kaum jemand hätte vor Kurzem noch für möglich gehalten, dass es bei einem einfachen Schmerzmittel wie Ibuprofen zu Lieferengpässen kommt.“

„Bei vielen weiteren Arzneimitteln gibt es kurzfristige Lieferabrisse“

Auch Lokalanästhetika, also Narkosemittel, oder Antibiotika seien keine Selbstläufer mehr. „Bei vielen weiteren Arzneimitteln gibt es kurzfristige Lieferabrisse.“ Dazu gehörten auch Desinfektionsmittel, unterschiedliche Psychopharmaka, Magen-Darm- oder Chemo-Therapeutika, spezielle Impfstoffe und auch stark wirksame Schmerzmittel wie Opiate. „Die Liste ließe sich noch deutlich erweitern.“

Konkret heißt das: Nach Aussagen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) liegen aktuell rund 260 Meldungen über Lieferengpässe für Humanarzneimittel in Deutschland vor. Rund 100 davon beziehen sich auf den Wirkstoff Valsartan, der in der Behandlung von Bluthochdruck und Herzinsuffizienz eingesetzt wird.

Der Apothekerverband Sachsen-Anhalt meint, dass die dort aufgelisteten Präparate aber nur die Spitze des Eisbergs sind und die tatsächliche Dunkelziffer bei der Verfügbarkeit der 103.000 in Deutschland zugelassenen Medikamente wesentlich höher liegt. „Denn die Angaben durch die pharmazeutischen Unternehmen basieren auf einer Selbstverpflichtung zur Meldung von Lieferengpässen für versorgungsrelevante Arzneimittel“, sagt Präsident Jens-Andreas Münch. Das heißt: Die Angaben sind freiwillig und werden nur durch die Hersteller gemacht.

Doch warum gibt es überhaupt Engpässe bei Medikamenten?

„Daher ist die Transparenz über das Liefer- und Marktgeschehen im Arzneimittelmarkt bisher eher gering“, sagt Ann Marini vom Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und meint: „Aus unserer Sicht wäre es sinnvoll, aus der Freiwilligkeit eine Meldepflicht zu machen und diese zugleich für die anderen Stufen der Handelskette, also auch für den Großhandel und die Apotheken, einzurichten.“

Doch warum gibt es überhaupt Engpässe bei Medikamenten? Nach übereinstimmenden Aussagen der MZ-Gesprächspartner sind die Gründe vielschichtig. Global betrachtet findet die Wirkstoffproduktion für den Weltmarkt aus Kostengründen oft an wenigen Standorten statt. Steht die Produktion dort zeitweilig still oder wird eine Charge aus Qualitätsgründen nicht freigegeben, können auch große Hersteller in Europa ihre Fertigarzneimittel nicht liefern (siehe: „Engpässe bei Ibuprofen und Valsartan“).

Die Arbeit sei aber sehr viel fordernder geworden

Für die Pharmazeuten in den Apotheken und Kliniken bedeutet dies, dass sie wesentlich mehr Arbeitszeit darauf verwenden müssen, um bei Engpässen gemeinsam mit Ärzten, Großhändlern und Patienten nach Lösungen zu suchen. Martin Grünthal, der zwei Apotheken in Dessau betreibt, hat mit Ulrike Borutzki sogar eine neue Mitarbeiterin für das zeitintensive Medikamentenmanagement eingestellt.

Auf die Nachfrage, ob die Engpässe dazu führen, dass medizinische Eingriffe verschoben oder Behandlungen abgelehnt werden müssen, sagt Marion Puttkammer vom hiesigen Krankenhaus: „Nein. Wir haben die Situation im Griff. Die medizinische Versorgung am Städtischen Klinikum ist bislang nicht betroffen.“ Die Arbeit sei aber sehr viel fordernder geworden. Denn wenn Medikamente nicht verfügbar sind, müsse man sich auf die Schnelle um die Beschaffung von Ersatzpräparaten mit gleichen oder ähnlichen Wirkstoffen kümmern oder Therapiealternativen mit den Ärzten besprechen. „Das Problem ist, dass die Engpässe vielfach kurzfristig und unangekündigt auftreten.“ Sichere Lieferverträge seien derzeit die Ausnahme. „Wir müssen tagtäglich mit Überraschungen rechnen und lernen, damit umzugehen.“ (mz)

Dass es zu Engpässen bei Medikamenten kommt, hat unterschiedliche Gründe. Bei dem Schmerzmittel Ibuprofen ist es beispielsweise so, dass der Wirkstoff weltweit nur von sechs Unternehmen produziert wird. So betreibt die deutsche BASF eine Produktionsstätte in Texas/USA.

Sie gilt als bedeutendste Anlage zur Deckung des globalen Ibuprofen-Bedarfs und fiel lange aus. Was dies bedeutet, wird klar, wenn man weiß: Mit 27 Millionen Verordnungen auf Rezept sowie 51 Millionen verkauften Packungen ist Ibuprofen laut „aerzteblatt.de“ das wichtigste Schmerzmittel in Deutschland.

Auch bei dem Bluthochdruckmittel Valsartan kommt es seit geraumer Zeit zu Lieferengpässen. Der Grund hier: Es wurde eine vermutlich krebserregende Verunreinigung von Chargen eines chinesischen Wirkstoffherstellers bekannt und betroffene Fertigarzneimittel in Europa und Nordamerika vom Markt genommen.

Statt grüner Häkchen sind im Bestellsystem häufig nur rote Kreuze hinterlegt. Das bedeutet, dass die Medikamente nicht verfügbar sind.
Statt grüner Häkchen sind im Bestellsystem häufig nur rote Kreuze hinterlegt. Das bedeutet, dass die Medikamente nicht verfügbar sind.
Thomas Ruttke