Oma geht auf Reisen Eisenbahnfans aus Dessau-Roßlau retten alten Schienenkran vor dem Schweißbrenner
Doch die Fahrt von der Roßlauer Schiffswerft bis nach Dessau ist alles andere als einfach.

Roßlau/MZ - Die Oma ist noch ziemlich fit, aber störrisch. Ein Umzug mit gerade einmal 65 Jahren? Den Herren, die das beschlossen haben, wird sie es nicht leicht machen, sie von Roßlau nach Dessau zu bringen. Auch wenn sie betonen mögen, es sei zu ihrem besten, denn die Alternative wäre - der Schneidbrenner.
Eigentlich heißt Oma „EDK 50“, und EDK steht für Eisenbahndrehkran. Mitte der 50er Jahre wurde die Maschine in den Leipziger Kirowwerken gebaut und hat nach einem Abstecher zur dortigen Messe ihren Dienst in der Roßlauer Schiffswerft getan. Kirow ist heute Weltmarktführer bei Schienendrehkranen und trägt weiterhin den Namen eines stalinistischen Hardliners aus der Sowjetunion.
Ein richtiger Eisenbahnfan zu sein bedeutet, einem sehr, sehr schwergewichtigen Hobby zu frönen
Seit mindestens zehn Jahren wird die Oma, so der Spitzname des Fahrzeugs, nicht mehr gebraucht, steht abgeschoben am Ende eines Gleises. Jürgen Völker von der Schiffswerft hat sich trotzdem etwas um sie gekümmert, hin und wieder den Motor gestartet, der am Dienstag ruhig vor sich hin läuft, während Männer auf und neben dem Kran versuchen, ihn von der Stelle zu bewegen.

Sie alle sind Eisenbahnfans. Ein richtiger Eisenbahnfan zu sein bedeutet, einem sehr, sehr schwergewichtigen Hobby zu frönen. Lokomotiven, Waggons oder eben ein EDK 50 fordern sehr viel Platz. Den kann der Verein „Triebwagenmuseum“ in Dessau bieten. Bis jetzt hat er aber nur eine Halle, jedoch kein echtes Museum.
Völker klettert in die kleine blaue Rangierlok der Werft. Sein wichtigster Job ist es, Hydraulikanlagen zu prüfen. Die rund 100 PS der Lok reichen auf den nassen und dazu leicht ansteigenden Gleisen nicht, das Gespann auf Plattenwagen und Kran von der Stelle zu bewegen. Und die Oma selbst kann gerade nicht helfen, bei ihr klemmt etwas im Getriebe.
Die orangefarbene 110 171-6 gehört dem bei der Deutschen Bahn beschäftigten Lokführer höchstselbst
Mit Schwierigkeiten dieser Art haben die Männer vom Triebwagenmuseum gerechnet. Ein funktionstüchtiger Autokran in der 50-Tonnen-Klasse hätte nur wenige Minuten benötigt, das Werksgelände zu verlassen. EDK 50 ist dagegen auf Gleise angewiesen. Die verfügen auf dem Werftgelände über teils grenzwertige Anstiege für das System Rad-Schiene. Zudem verlangt ein sehr kurzes Gleisstück hinter einer Weiche etliche Umspannmanöver.
Inzwischen ist die kleine Rangierlok abgekoppelt und abgestellt, so dass Thomas Speich mit seiner 1.000-PS-Diesellok heranfahren kann. Speich ist Vorsitzender des Triebwagenmuseums Dessau - und „seine Lok“ ist wörtlich zu verstehen. Die orangefarbene 110 171-6 gehört dem bei der Deutschen Bahn beschäftigten Lokführer höchstselbst. Manchmal übernimmt er kleine Aufträge, so kommt genug Geld rein, die Lok zu erhalten.

Zwei Stunden dauert die Fahrt über 800 Meter Strecke
In einer komplizierten Choreografie bewegen sich die kleine blaue Lok, die große orange Lok, ein Plattenwagen und der Schienenkran in wechselnden Paarungen durchs Werftgelände. Zwei Stunden dauert die Fahrt über 800 Meter Strecke, von Rolf Schulze per Video dokumentiert. In der ausklingenden Dampfära wurde er Lokführer. Es war sein Traumberuf. Nur mit der erhofften Romantik war es schnell vorbei. Dreck, Zehn-, Zwölfstunden-Schichten. Schulze wechselte von der Reichsbahn zu einer Bergwerksbahn.
Trotzdem blieb er Eisenbahnromantiker. „Mein liebster Freund“, sagt er, „ist ein Triebwagen von 1938. Wunderschön. Leider noch nicht fahrbereit.“ Er steht in einer großen Halle auf dem Gelände des ehemaligen Waggonbaus. Das Dach der Halle hat ein Loch. Es zu schließen kostet 75.0000 Euro. Fördermittel sind beantragt, aber ob die kommen oder nicht, weiß niemand im Verein.

Am Mittwoch, pünktlich um 11.09 Uhr, bekommt Thomas Speich am Bahnhof Roßlau freie Strecke nach Dessau signalisiert. Die Werftsirenen haben Oma vorhin noch nachgeweint, die nun auf ihre letzte, die zweite Fahrt geht. Kurz vor 13 Uhr hat der EDK 50 das Vereinsgelände erreicht. Oma ist nun vor dem Schneidbrenner sicher.