1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Dessau-Roßlau
  6. >
  7. Ein eher scheeler Blick über die Elbe

Ein eher scheeler Blick über die Elbe

Von SILVIA BÜRKMANN 30.06.2010, 16:50

DESSAU-ROSSLAU/MZ. - "Geändert? Hat sich eigentlich nicht so viel, für mich persönlich jedenfalls." Seit vier Jahren steht Kristin Sauermilch für die Starke Fleisch- und Wurstwaren GmbH aus Zerbst mit dem Wagen dienstags und donnerstags von 8 bis 13 Uhr auf dem Roßlauer Wochenmarkt. Die junge, 21-jährige Frau beschattet die Augen mit der Hand, und blickt die Rudolf-Breitscheid-Straße hinauf bis zur Einmündung auf die Marktstraße und zählt in Gedanken zusammen: Durchschnittlich zehn bis zwölf Händler bieten hier ihre Waren feil. "Wir hatten früher immer mal Dessauer Kundschaft und jetzt auch", denkt Kristin Sauermilch laut. Und jetzt, da im Vorjahr das Einkaufszentrum am Schillerplatz fertig gestellt und eröffnet wurde, kommen die Kunden auch von der Fußgängerpassage hinauf zum traditionellen Wochenmarkt-Standort.

"Der hat aber mit der Städtefusion von Dessau und Roßlau vor drei Jahren an Ausstrahlung und Leben verloren", packt Regina Friedrich-Eisemann nebenan die Blumen und Grünpflanzen der Gärtnerei Düben zusammen. "Seit keine Textilien mehr verkauft werden dürfen", nennt die rigorose Blumenfrau Ursache und Wirkung: Einschnitte ins altvertraute Sortiment bringt weniger Händler auf den Platz, und weniger Käufer vor die Auslagen. Die strikte Ausrichtung auf den Frischemarkt, beschlossen vom Stadtrat Dessau-Roßlau, bringt die Roßlauer Händler ins Straucheln. "Ordnungs- und Gewerbeamt sind auch ganz scharf hinterher, was die Einhaltung der Sortimente angeht. Da wird fotografiert, da werden Strafgelder verhängt", schüttelt Doris Schmidt zornig den Kopf. "Auf dem Markt hier ist keiner mehr gut zu sprechen auf die Stadt." So stehen Händler, die seit Anfang der 90er Jahre mit ihrem Marktstand das Leben bestritten und die Familie ernährt haben, plötzlich ohne Einkommen da, wenn sie nicht mühevoll eine Ausnahme über Teilgenehmigung erwirken, wie die "kleine Vietnamesin", die gerade unter den älteren Marktbesuchern dankbare Abnehmerinnen für die vielfältigen Textilien fand.

Während unter den Marktfrauen also deutlicher Unmut grollt, "weil die Roßlauer Belange doch überhaupt nicht mehr wahrgenommen werden und wir verraten und verkauft worden sind", nimmt Ingetraut Müller aus dem Rodlebener Wäldchen nicht sonderlich viel Anstoß und schlechte Erfahrungen mit aus der Städtefusion. Die 75-jährige ist rüstig und noch viel mit dem Fahrrad unterwegs. Bei gutem Wetter. Kribbelig wird sie, wenn das Wetter schlechter wird und sie zu einem Arztbesuch nach Zerbst fahren muss: "Da gab es früher neben dem Linienverkehr ja auch den Anruf-Bus bei Müllers. Aber seit Roßlau nun Dessau-Roßlau ist, fährt der Ruf-Bus nicht mehr nach Zerbst. Schade."

Wenige Befindlichkeiten hat Ute Fräßdorf der Doppelstadt anzukreisen. Aber eins sei dennoch ganz schlimm: Die häufigen Dopplungen der Straßennamen in den zwei Stadtteilen Roßlau und Dessau. So wartete die Familie Fräßdorf in diesem Jahr auf die Lieferung der Ziegel für die geplante Dach-Neueindeckung. "Und prompt fuhr der Liefer-Lkw doch in die Mozartstraße nach Dessau. Da hatten wir noch tüchtig zu kurbeln, um zu verhindern, dass die große Ladung an falscher Stelle abgelegt wurde und für uns noch ein zusätzlicher Riesenberg Arbeit anfiel."

In Roßlau also lässt sich bei einer Stipp-Visite und Straßenbefragung keine Party-Laune zum "dritten Stadtgeburtstag" ausmachen. Christoph Kauert und André Kürschner, die jungen Leute vom Spielmannszug Blau-Weiß Roßlau, fassen ihr Urteil nach kurzer Überlegung in einem noch knapperen Satz zusammen: "In Roßlau war alles einfacher."

Der Eindruck hat auch das andere Elbufer erreicht. Zumindest in der Runde am Imbiss von Ute Tauscher in der Teichstraße, sind die Meinungen ziemlich einhellig: Die Dessauer sind von Grund auf und vom Herzen Dessauer geblieben. Dass Roßlau dazukam, hat den Status der Großstadt und des Oberzentrums halten können. "Und darum ging's doch wohl in der Sache auch", überlegt Peter Bethke. Obwohl - die Doppelstadt kostet viel Geld, das womöglich mit einer Eingemeindung hätte gespart werden können. "Und warum brauchen wir zwei Verwaltungsplätze, wenn wir doch eine Stadt sein wollen?" Dass er nun für eine Genehmigung für einen Garagenumbau zum Zentralen Gebäudemanagement bis "zur alten Russen-Garnison" ins Technische Rathaus nach Roßlau müsse, kann den 61-jährigen Bethke schon ganz schön verärgern. Für Thomas Heinze hat sich mit der Städtefusion wenig geändert, eingekauft und gelebt wird weiter und ausschließlich in der Muldestadt.

Ute Tauscher, die Imbiss-Besitzerin und Chefin, hört auch andere Stimmen. Vor allem von den jungen Leuten vom Liborius-Gymnasium, die häufig für einen Snack und einen Schwatz um die Ecke kommen. "Und da sind viele aus Roßlau und dem Umland dabei. Für die ist es doch schwerer geworden, seit das Roßlauer Gymnasium im vorigen Jahr geschlossen wurde." Schließung von Einrichtungen, längere Wege, "die Roßlauer haben durch die Fusion doch viel verloren". Und die Dessauer Sonnenköppe? Zu denen immerhin bekennen sich Tauscher und Heinze mit Geburtsschein. "Die Dessauer merken von der Fusion nichts und die hebt sie auch nicht an", sind sich beide einig.