«Dieser Club bietet jede Menge Leiden»
Dessau/MZ. - Der Ausblick über den Platz von hier aus war atemberaubend. Doch André Kahle musste sich beeilen. Ein, zwei Handgriffe, dann war der Schal befestigt. Und wehte nun weithin leuchtend als ein Symbol über der Stadt Madrid. In der Nacht zum 26. April 2003. Der Tag, an dem Atletico Madrid einhundert Jahre alt werden sollte. Und der Tag, an dem André Kahle endgültig sein Herz verlor.
Wenn am Mittwoch ab 20 Uhr die Fußballer von Atletico Madrid im Dessauer Paul-Greifzu-Stadion in einem Freundschaftsspiel auf Energie Cottbus treffen, dann werden unter den tausenden Zuschauern auch einige ganz besondere Anhänger sitzen. Es sind die Mitglieder des einzigen deutschen organisierten Fanclubs von Atletico Madrid: der "Pena Atletica Centuria Germana." Das Spiel in Dessau und der einige Tage später stattfindende Auftritt der "Rojiblancos" in Dresden bedeutet für diese Fans einen Höhepunkt in der noch recht kurzen Geschichte ihres Clubs. Der Grund: Selten wurden die Atletico-Fans in einer Stadt mit größerer Gastfreundschaft empfangen. "Ralph Hirsch vom Sportamt hat sich sehr um uns gekümmert", sagt Kahle. Egal, ob es die Tickets oder das Hotel betraf. "Wir machen jetzt sogar einen Stadtrundgang."
"Angefangen hat alles mit einem Tippspiel", erinnert sich Kahle, der in Paderborn wohnt und Student ist. Als er vor einigen Jahren in eine Online-Simulation der spanischen Liga einsteigen durfte, tat er das, was alle tun: Er bat darum, Real Madrid oder den FC Barcelona managen zu dürfen. Doch beide Vereine waren vergeben und so erhielt Kahle, wenn auch widerwillig, Atletico Madrid zugewiesen.
Es dauerte nicht lange, und aus der nüchternen Beziehung wurde mehr. "Ich musste ja alles über den Club verfolgen und auf einmal wurde er mir immer sympathischer", erinnert sich Kahle. Jede Information im Internet wurde aufgesaugt. Und obwohl er kein Spanisch konnte, verfolgte er die Radioreportagen. "Ich hab immer nur auf das Wort Goal gewartet", lacht Kahle.
Mit einigen Freunden fuhr er dann im April 2003 nach Madrid. Knotete den Atletico-Schal an den Brunnen und war am nächsten Tag mittendrin in den Feierlichkeiten zum hundertsten Vereinsjubiläum. "Die Begeisterung, die Freude und das spontane Miteinander haben mich sofort und vollends in den Bann gezogen." Noch vor Ort gründeten deutsche und deutschverbundene Fans den neuen Fanclub.
Seitdem ist in André Kahles Leben vieles anders geworden. Aus seinem Sport- und Wirtschaftsstudium wurde vor einigen Jahren ein Sport- und Spanisch-Studium. "Jetzt kann ich alles über Atletico lesen und hören", sagt Kahle. Zwei oder drei Mal im Jahr reisen Clubmitglieder mittlerweile zu Atletico-Spielen. Und lernen dabei hautnah kennen, was es heißt, ein Fan dieser Mannschaft zu sein. "Dieser Club", sagt Kahle, "bietet dir vor allem jede Menge Leiden." Immer in dem Moment, in dem es darauf ankommen, verliere Atletico.
Das Scheitern gehöre hier zum Alltag, jede Saison sei alles und auch nichts möglich. Doch die Verehrung bleibt. "Die Spanier sagen, der Verein sei ein Virus, den man nie wieder loswird." Er selbst habe längst aufgegeben, dagegen anzukämpfen. "Wenn Atletico eine Krankheit ist", lacht Kahle, "dann bin ich schwer befallen."
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