"Die Dreigroschenoper" beim Kurt-Weill-Fest "Die Dreigroschenoper" beim Kurt-Weill-Fest: Bettelscharf und hurenweich mit Brechts Zwischentexten

Dessau/MZ - Das Kurt-Weill-Fest hat sie wieder: „Die Dreigroschenoper“. Am Sonntagabend erwachte der verrottete Christ im Anhaltischen Theater Dessau zum Morgenchoral in einer konzertanten Aufführung mit HK Gruber und dem Ensemble Modern, mit Zwischentexten, die Bertolt Brecht für Schallplattenaufnahmen schrieb und Stephen Hinton zusammenstellte, alles nah an der Partitur der Lewis Ruth Band. Zur Uraufführung spielten sieben Musiker dieser Band 23 Instrumente. Es geht auch anders und wie, das ist bekannt durch die CD-Einspielung von 1999.
Noch bevor die minderjährige Witwe geschändet, das erste Eheweib verschachert war, stand fest, dass das Ensemble Modern, dass diese Orchesterband wollüstig und beherzt, frivol und hoch kultiviert zum Hauptdarsteller wird. Bettelscharf und hurenweich, voller Ironie und Pointen, in welchen der Witz genüsslich zum Sarkasmus gedeiht, singen sie die Songs, deklarieren, deklinieren, forcieren sie. Und wie sie dabei die Tempi strecken und stutzen, ausgiebig und detailversessen. Da hat man diesen Hinterhalt für drei Groschen, den Balanceakt, der die Niedertracht so genüsslich wie ein Couplet zum Tanztee pfeift und doch die vogelfreie Menschlichkeit, die Unzulänglichkeit in jener wankenden Mixtur von Stimme und Charakter mit und gegen die Musik besingt, eine Gratwanderung.
Die Reihe der Solisten blättert nun auch die Möglichkeiten auf, die immer wieder zwischen Musik und Text rochieren und dem besungen Milieu hier und da eine Bügelfalte verpassen. Kurz: Die Bettler betteln. Die Huren huren. Und der Haifisch trägt Belcanto-Beißer. Aber nein, oder doch? Manchmal fühlt man sich an ein inständiges Liebesduett mit angestrengtem Himmelsblick erinnert, als trage Macheath, als trage Simon Bode Glacéhandschuhe auf der Kehle. So geht man unerkannt um Ecken. Das ist unaufgeregt, dennoch hintersinnig, fern von gewollten Alleinstellungsmerkmalen. Und Mama Peachum zeigt sich als hoch dramatischer Mezzosopran. KS Hanna Schwarz besingt die sexuelle Hörigkeit, als besuche etwa Verdis Amneris persönlich die Spelunken-Jenny. So wird die an der Lust orientierte Gewohnheit des Mannes pure Musik.
„Hoppla“ - und wenn der Kopf fällt, klingt die Rachsucht wie die naive Stimme einer Kindfrau. Ute Gfrerer läuft als Polly in vollem Tempo oder hauchfein diesen Spagat zwischen unbescholten reiner Stimme und Charakter aus. Das „Eifersuchtsduett“ mit Lucy wird zu einem herrlichen Argwohn-Unisono: „Wir lebten wie die Tauben“. Doch die leben in der Regel monogam. Und überhaupt: Lucy (Winnie Böwe) und Jenny (Sona MacDonald) singen spielend und platzieren manche Pointe. Der Kammerchor Cantamus Halle macht schon das „Hochzeitslied“ treffsicher zum Grabgesang der Lust und die Musiker singen mit, liefern bestens positioniert dröge Hoch-Rufe. Sprecher Sven-Eric Bechtolf kommentiert mit starker Schellack-Stimme. Und Tiger Brown (Hannes Hellmann) parodiert wahrlich ernsthaft Kumpanei und Soldatenstolz im „Kanonen-Song“.
Einer fehlt, der Mitleidshändler und Bettlerunternehmer, der Dirigent und Sänger. HK Gruber als Peachum ist der Charakterkopf, der den Text auslebt und auskostet, der Bühnenfrau und Bühnentochter illusionslos durch das „Erste Dreigroschen-Finale“ peitscht. Und „Der Anstatt-Dass-Song“ schneidet sich in die Ohren, bleibt eingemeißelt dort. Doch im Dreck verreckt dann keiner. Der reitende Bote liefert mit der Begnadigung ein ewig vollstrecktes Schein-Happy-End, das den Galgen unberührt lässt, aber gerade damit die Verhältnisse besiegelt. Viele Zugaben folgen. Gruber küsst. Und alle singen die Moritat der Moritaten: „Doch das Messer sieht man nicht“.