Dessauer Glockenspiel Dessauer Glockenspiel: Erbin des Glockengießers hört sich im Rathausturm um

Dessau - Die alte Dame lehnt an dem geöffneten Fenster zum Rathausinnenhof. Von dessen Pracht aber lassen die Gerüste rundum wenig übrig. Aber es geht nicht ums Sehen. Sondern ums Hören. „Das Wandern ist des Müllers Lust“ intoniert das Glockenspiel im Rathausturm. Sanft nach einem stürmischen Walkürenritt. „Das klingt sauber und klar. Das ist die Manganbronze. Gut.“ Margarete Schilling (83) erlebt Mittwochmittag das in der Glockengießerei ihrer Familie in Apolda entstandene Läutwerk erstmals im Einsatz.
"Klar, klingt gut"
„Klar, klingt gut.“ Stolz zwinkern sich Helmut Ebert und Martin Eckardt zu. Die Uhrmacher aus dem Salzatal waren mit der kompletten Neueinrichtung der Uhrenanlage betraut: Von den Uhren im Turm bis in den einzelnen Stockwerken, einschließlich der Steuerung der Glockenschläge - von den Turmglocken unter der Spitze bis zum Glockenspiel hinter den verschieferten Schall-Läden am Fuß der Laterne.
Siegfried Hirstowki und Margarete Schilling gehören zur gleichen Generation und kennen einander. Der einstige Stadtbaudirektor und die Frau aus der berühmten Glockengießer-Dynastie aus Thüringen haben einander über die Anfänge des Dessauer Rathaus-Glockenspiels kennengelernt. Das hat nämlich eine lange Geschichte, die zwei deutsche Zeitalter überspannt: Ursprünglich nämlich sollte das Glockenspiel im Rathaus zum 775. Geburtstag Dessaus- 1972 zur jüngsten und 13. Großstadt der DDR mit 100.000 Einwohnern geworden - bereits 1988 erklingen. Das aber wurde nicht geschafft. Zwar waren etwa 35 der insgesamt 41 Glocken, meist die kleineren mit einem Durchmesser um 20 Zentimeter, gegossen und geliefert. Dann aber klemmten wohl die planwirtschaftlichen „Bilanzen“.
Vollendet werden jedenfalls konnte das Glockenspiel erst nach der Wende und auf Initiative von Oberbürgermeister Jürgen Neubert und dem früheren Stadtbaudirektor Siegfried Hirstowski. Es erklang erstmals am 20. Dezember 1992 mit Weihnachtsmusik.
Inzwischen sind die Melodien längst vielfältiger, reihen sich ein in den Verlauf der Jahreszeiten oder der besonderen Höhepunkte im Stadtkalender. So hat Nicky Granz von der Stadtverwaltung im Kontext der Neueinspielung der Musiktitel durch den Generalmusikdirektor des Anhaltischen Theaters Antony Hermus auch das neue Liedgut-Programm zusammengestellt. „Komm, lieber Mai und mache...“ ist derzeit programmiert. Ganz tagesaktuell zum 1. Juni und Kindertag soll der Bi-Ba-Butzemann ums Haus tanzen und schließlich ein „Männlein im Walde“ stehen. Zum Repertoire zum Weill-Fest im Winter gehörte traditionell „Mackie Messer“ und zum Wagner-Kolloquium standesgemäß der Walküren-Ritt.
Das Glockenspiel im Dessauer Rathausturm vereint 41 Glocken. Der tiefste Ton ist ein G2, der höchste ein C6. Die Glocken sind in Reihe aufeinander abgestimmt. Sie sind gegossen aus einer Manganbronze-Legierung, die den Nachhall verkürzt und schnelle Tonfolgen ermöglicht.
Die kleinste Glocke wiegt elf Kilo beim Durchmesser von 20 Zentimeter, die größte bringt 150 Kilo auf die Waage und 0,75 Meter aufs Bandmaß.
Der Dessauer Marsch darf natürlich auch nicht fehlen. Dieser schmissige Infanteriemarsch als Lieblingsstück vom Alten Dessauer Leopold I. gehört zur Musik der Stadt wie der Walzer nach Wien. Als Marke so unverkennbar wie das Steigerlied am Bochumer Rathaus: Glück auf! Vom Dessauer Rathaus soll das Glockenspiel künftig vier Mal am Tag erklingen: Um 9, 13, 15 und 18 Uhr.
Auch Friedensglocke hat Verbindungen nach Apolda
Auch die Friedensglocke hat Verbindungen zur Glockengießerei Schilling Apolda. „Hier sind 4,5 Tonnen Stahl aus Kalaschnikows. Wir hätten gern eine Friedensglocke“, sagte damals Lothar Ehm zu Margarete Schilling. Und die hat fast freihand die Glockenrippe gezeichnet. Das Schilling-Know-how gelangte über Ehm zur Glockengießerei Rudolf Perner nach Passau. Und von dort zurück nach Dessau, auf den Platz, der inzwischen Platz der Deutschen Einheit heißt. „Mit ernstem, friedlich-gemessenem Klang“, hört die Expertin zufrieden deren Schlag. (mz)
