1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Dessau-Roßlau
  6. >
  7. Günter Dreibrodt war aktiv dabei: Dessau-Roßlauer Günter Dreibrodt war aktiv dabei: Vor 40 Jahren holten die DDR-Handballer Olympiagold

Günter Dreibrodt war aktiv dabei Dessau-Roßlauer Günter Dreibrodt war aktiv dabei: Vor 40 Jahren holten die DDR-Handballer Olympiagold

Von Silvia Bürkmann 01.08.2020, 10:00
Unglaubliches wird wahr: Die DDR-Handballer (vorn Günter Dreibrodt) bejubeln ihren Sieg über Gastgeber Sowjetunion im Olympiafinale 1980.
Unglaubliches wird wahr: Die DDR-Handballer (vorn Günter Dreibrodt) bejubeln ihren Sieg über Gastgeber Sowjetunion im Olympiafinale 1980. DPA

Dessau-Roßlau - „Das ist längst überfällig.“ So knapp und deutlich kommentiert Günter Dreibrodt die aktuelle Debatte über die Aufnahme der ostdeutscher Handball-Olympiasieger in die Ruhmeshalle des deutschen Sports.

Die bisherige Ausgrenzung hatten diese Woche der einstige Weltklasse-Handballer Wieland Schmidt und der Präsident des Deutschen Handballbundes Andreas Michelmann kritisiert und Anerkennung für die DDR-Handballhelden gefordert. In der von der Stiftung Deutsche Sporthilfe 2008 im Deutschen Historischen Museum Berlin gegründeten „Hall of Fame“ werden Sportler und Persönlichkeiten geehrt, die mit Leistung und Fairplay Sport-Geschichte geschrieben haben.

Und genau dies machte vor 40 Jahren die DDR-Handballnationalmannschaft: Am 30. Juli 1980 holte das Team von Trainer Paule Tiedemann mit Spielern aus Magdeburg, Leipzig. Frankfurt/O., Rostock und Berlin in einem hochdramatischen Finale mit 23:22 Olympiagold im Moskauer Sokolniki-Sportpalast.

Das Handball-Einmaleins hat der 1951 geborene Roßlauer bei ZAB Dessau gelernt

Diese Sensation im Hexenkessel des favorisierten Gastgebers bleibt unvergessen. Bis heute Gänsehaut überläuft auch einen Mann aus Dessau-Roßlau. Günter Dreibrodt war dabei.

Das Handball-Einmaleins hat der 1951 geborene Roßlauer bei ZAB Dessau gelernt, mit dem es das Talent bis in die Junioren-Oberliga schaffte. 1971 ging es per Delegierung zum SC Magdeburg. Für seinen Club warf Dreibrodt 2.097 Tore. Darunter seine in einem Spiel unerreichten 18 Treffer in einem Europapokalspiel gegen Granollers aus Spanien.

186 Mal wurde der Linkshänder in die Nationalmannschaft gerufen und erzielte hier insgesamt 691 Treffer. Die Statistik vom Olympiafinale 1980 in Moskau aber verzeichnet kein Tor von „Kanonier“ Dreibrodt. Der hatte in der Gruppenphase Blessuren einstecken müssen.

„Kurz vor Schluss konnte ich noch einen Pass auf Rechtsaußen zu Hansi Beyer spielen“

Zum Endspiel also übernahm der hochgewachsene Rechtsaußen-Spieler andere Aufgaben. „Meine Arbeit in Deckung und Verteidigung war astrein“, schätzt der Diplomsportlehrer und heute 69-Jährige nach Ansicht der alten Videos ein. „Ein Fehler mehr und es hätte anders ausgehen können.“ So aber kam es zu dem Wunder von Moskau.

„Unser Devise war damals: Wenn wir dranbleiben und die Sowjetunion nicht davon ziehen lassen, dann haben wir die größeren Reserven und eine kleine Chance“, erinnert sich der einst wurfgewaltige Rückraumspieler. Mit dem 20:20 nach 60 Minuten war der Plan aufgegangen und der Favorit in die Verlängerung gezwungen. Jetzt wollte der Außenseiter das Unmögliche möglich machen. „Kurz vor Schluss konnte ich noch einen Pass auf Rechtsaußen zu Hansi Beyer spielen. Und der macht tatsächlich die Führung zum 23:21!“ Dreibrodt jubelt fast heute noch.

Er selber war für die Schlussminute gemeinsam mit Rainer Höft zum Absitzen einer Zeitstrafe auf die Bank verbannt worden. In doppelter Überzahl kamen die Sowjets per Strafwurf zum Anschlusstreffer und Sekunden vor der Sirene noch einmal in Ballbesitz.

Dreibrodt mit Trikotnummer 2 riss die Arme im Triumph hoch und stürmte auf das Parkett

„Der Karschakjewitsch lief frei auf unser Tor zu“, hielt mit Dreibrodt die ganze Handballwelt den Atem an. Dann kam im rechten Augenblick der Unterarm von Wieland Schmidt und lenkte den Ball zur Latte. Abpfiff. Ende. Olympiasieg!

Torwart Schmidt drosch den Ball mit Jubelschrei bis unters Dachgebälk. Jetzt hielt es keinen mehr auf der Bank. Auch Dreibrodt mit Trikotnummer 2 riss die Arme im Triumph hoch und stürmte auf das Parkett.

Dieser Augenblick hat sich unauslöschbar in die Erinnerung eingebrannt. Nicht allein bei Handball-Enthusiasten. Der Osten Deutschland ist sportverrückt und mit Topleistungen verwöhnt. Zum Ende der Entscheidungen in Moskau krönt zwei Tage später Waldemar Cierpinski mit seinem wiederholten Marathon-Olympiasieg den 1. August und macht den exaltierten Sportreporter Heinz Florian Oertel zur Medienlegende. „Junge Väter, haben Sie Mut ... Nennen Sie ihre Neuankömmlinge Waldemar! Waldemar ist da!“

Die Beliebtheit der Handball-Olympiasieger lief sogar König Fußball den Rang ab

Die Beliebtheit der Handball-Olympiasieger lief sogar König Fußball den Rang ab. Dabei hatte die Elf um Hans-Jürgen (Dixie) Dörner 1976 in Montreal für die DDR schon Olympiagold geholt.

Die Handballer aus dem Osten aber schafften vor 40 Jahren seither Unerreichtes. Hallenhandball gehört zu den „jungen“ olympischen Wettbewerben, rückte erst 1972 in München auf den Spielplan. Gold holte damals Jugoslawien vor der Tschechoslowakei und Rumänien. Die DDR wurde Vierter, die Sowjetunion Fünfter mit einem 17:16-Sieg über die Bundesrepublik (Platz 6).

Vier Jahre später siegte in Montreal die Sowjetunion vor Rumänien. In Los Angeles 1984 griffen die Westdeutschen nach der Krone, unterlagen im Finale Jugoslawien knapp 17:18. Gleiches Drama wiederholte sich nach der Wiedervereinigung 2004 in Athen, wo Kroatien mit 26:24 die Oberhand behielt.

Die „Hall of Fame“ verewigt aktuell 118 Menschen, die Sport-Geschichte schrieben

Danach zogen neue Teams ins Handball-Oberhaus, wie Frankreich, Spanien und die Skandinavier. Erst 2016 in Rio de Janeiro holte sich Deutschland als Dritter wieder einen Podest-Platz.

Die „Hall of Fame“ verewigt aktuell 118 Menschen aus West und Ost, die Sport-Geschichte schrieben. Auch die Handballer Heiner Brand, Joachim Deckarm und Erhard Wunderlich haben es in die Ruhmeshalle geschafft. Nicht aber die Helden von Moskau. Und Waldemar auch nicht. (mz)

Heute 69 Jahre, Stadtrat und immer noch sportlich.
Heute 69 Jahre, Stadtrat und immer noch sportlich.
Thomas Ruttke