Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Storch Leopold legt 20.000 Kilometer zurück
DESSAU/MZ. - Ein großer Marienkäfer dekoriert mit seinem stechenden Rot den dicken grünen Ordner. Doch um Käfer oder Insekten geht es nicht. Schon seit vielen Jahren führt Hannelore Kleindienst ein ganz besonderes Tagebuch. "In der Mittagsruhe sitzen wir gern hier draußen", sagt Herbert Kleindienst und präsentiert mit einer einladenden Handbewegung den Garten der Eheleute, "und beobachten den Horst."
1992 hatte Herbert Kleindienst entschieden, einen Storchenhorst anzulegen. Die ehemalige Antenne diente ursprünglich als Mast und die angebrachte Storchenattrappe wies "Karl" - dem ersten Chef im Revier, bald den Weg.
Kleindienst deutet auf den heute fast 14 Meter hohen Mast im angrenzenden Grundstück: "Jetzt steht er auf!" Und fast schon etwas stolz - und irgendwie im Chor - sagen beide ohne einen Zweifel erkennen zu lassen: "Das ist unser Leopold!"
Erkennen kann den Storch mit dem "Dessauer" Namen eigentlich jeder auf Anhieb. Denn er trägt einen nicht zu übersehenden Sender. "Leopold hatte 2009 einen Unfall", kommt der Herr im Hause sogleich ins Plaudern. Damals habe er hier gebrütet und sich die Familienverpflegung auch auf der Roßlauer Seite der Elbe besorgt. Doch auf der Bundesstraße zwischen Dessau und Roßlau stieß er mit einem Lastkraftwagen zusammen. Das Tier hatte sich nicht allzu stark verletzt, wurde sicherheitshalber aber trotzdem eine Woche lang in Loburg aufgepäppelt und mit dem GPS-Sender versehen. "Da er aus Dessau ist, wurde er dann Leopold getauft", so Hannelore Kleindienst.
Leopold kehrte bald in seinen Ziebigker Horst in der Ruhrstraße zurück und fortan erhielt Familie Kleindienst exakte Informationen über ihren Schützling. Sofort holt Hannelore Kleindienst eine Skizze heraus. "Hier zum Beispiel kann man sein hauptsächliches Jagdrevier deutlich erkennen", sagt sie. Die roten Jagdzielpunkte häufen sich in der Gegend um Brambach und Rietzmeck. Mit diesen Daten werden die beiden Naturfreunde von Holger Meyer, der den GPS-Sender betreut, versorgt. Hochinteressant sind für sie in jedem Falle die Überwinterungsrouten Leopolds. "Seine Fluglinien finde ich faszinierend", meint die 64-Jährige. "Diesmal hat Leopold über 20 000 Kilometer zurückgelegt", belegt ihr Mann mit weiteren Aufzeichnungen, welche sich wie die Stationen auf einer kleinen Weltreise lesen. "Überquerung am Bosporus", steht da zum Beispiel schwarz auf weiß. Richtung Zentralafrika macht sich Leopold immer wieder auf. Sudan, Tansania, Äthiopien - nur Stationen auf seinem Weg. "Er überwintert in Tschad", sagt der 66-Jährige. Seinen Weg in den kleinen Dessauer Stadtteil aber findet er immer wieder aufs Neue. "Irgendwie sind Störche doch ein Symbol für das Ende des Winters", resümiert Hannelore Kleindienst.
"Störche sind nesttreu aber nicht partnertreu", weiß Kleindienst. Das allerdings macht Leopold wiederum zu etwas Besonderem, denn seit 2009 kommt ihm nur noch seine Luise ins traute Heim.
"Die haben wir natürlich selbst so getauft", schmunzelt Hannelore Kleindienst und berichtet, dass das beringte - und daher zu identifizierende - Weibchen aus Mailach in Mittelfranken (bei Nürnberg) stammt. "Schon im ersten Jahr haben sie gebrütet", denkt er zurück und fügt hinzu, "aber leider ohne Erfolg." Der stellte sich erst im Folgejahr ein und in diesen Tagen können ebenfalls die typischen regelmäßigen Wachablösungen beobachtet werden. "Die Aufzuchtzeit ist die interessanteste", meint Frau Kleindienst. Es sei teilweise unglaublich, was die beiden Tiere dann alles in den Horst transportieren. "Schlangen, Frösche, sogar Wasser im Schnabel", zählen sie sich gegenseitig ergänzend auf.
Dieses Jahr erreichte Leopold am 19. April die Doppelstadt und musste eine ganze Woche auf Luise warten. Demnach könnte es durchaus bald wieder Nachwuchs geben im sozusagen fürstlichen Horst.