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Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Spaniens Blüten blühen in Dessau ein ganzes Jahrzehnt

Von JOHANNES KILLYEN 03.09.2010, 17:10

DESSAU/MZ. - Unsterblicher Gassenhauer

Denn in Frederic Loewes Musical "My fair Lady", uraufgeführt 1956, beschreibt der unsterbliche Gassenhauer "Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blüh'n" keine idyllische Staffage, sondern markiert einen Umkehrpunkt im Prozess der sprachlichen Zivilisierung. Weil die kesse Gossenprinzessin Eliza Doolittle den Text endlich akzentfrei aufsagen kann, wird sie zur echten Lady.

Am Dessauer Theater gehört diese entzückende Bühnenfigur, rein statistisch gesehen, zum Stammpersonal. Drei Inszenierungen hat "My fair Lady" hier erlebt, die erste brachte es zwischen 1966 und 1976 auf nicht weniger als 163 Aufführungen. Wenn die meisten davon ausverkauft waren, so lag das nicht zuletzt an einem Gast, der unter besonderen Umständen verpflichtet wurde, sich am Ende gar nicht mehr als Gast fühlte - und doch unter Tränen gehen musste: Eva-Maria Hagen, Jahrgang 1934, Film- und Fernsehstar, die "Brigitte Bardot der DDR" - und die Partnerin Wolf Biermanns.

Im Brandenburgischen aufgewachsen, hatte sie 1952 in Berlin ein Schauspielstudium aufgenommen und noch unter Brecht am Berliner Ensemble gespielt. Die Tochter pommerscher Landarbeiter hatte 1954 geheiratet und ein Jahr später ein Kind zur Welt gebracht, aus dem bekanntlich die exorbitante Rockröhre Nina Hagen werden sollte. Es folgte sehr bald der kometenhafte Aufstieg der Eva-Maria Hagen: zwischen 1957 und 1965 Auftritte in 50 Film- und Fernsehproduktionen, 1958 Engagement am Berliner Maxim-Gorki Theater, 1961 Aufnahme in das Schauspielensemble des Fernsehfunks.

An Dessau war da noch nicht zu denken. Doch die Liebe zum Gitarrenrebellen Wolf Biermann brachte die Hagen ab 1965 in die Schusslinie der DDR-Führung, versetzte ihrer Karriere einen herben Dämpfer und nötigte sie zu Auftritten vornehmlich in Provinztheatern.

Was äußeren Zwängen geschuldet war, erwies sich für Dessau und auch den Bühnenstar selbst freilich als Glücksfall: In der Eliza Doolittle fand Eva-Maria Hagen, wie sie vor der Premiere 1966 an Wolf Biermann schrieb, "die Rolle meines Lebens". Sie sei glücklich bei der Arbeit und werde sich durch nichts aufhalten lassen.

Und Biermann flötete zurück: "Meine wunderbare Liebe! Das muss heute ein ganz großer Theaterabend werden, so gewaltig und heiter wie unsere Umarmungen." Bisweilen schaltete sich "der Wolf" sogar in die Regiearbeit ein, geduldig toleriert von Regisseur Peter Bejach.

Dabei war die Hagen zuerst nur als Ersatzbesetzung für die kaum weniger bekannte Anne-Kathrin Bürger vorgesehen, die - laut Protokollen der allgegenwärtigen Staatssicherheit - unter Stimmproblemen zu leiden hatte. Und auch die Vorabberichte der Zeitungen erwähn-ten manchmal nur nebenbei, dass in Dessau neben der Bürger noch ein weiterer Star auftreten sollte.

Das ging so weit, dass die Stenoklasse der kaufmännischen Berufsschule sich in einem Schreiben an die Theaterleitung über die mangelnde öffentliche Beachtung der in politische Ungnade gefallenen Eva-Maria Hagen beschwerte. Immerhin verschafften Lobeshymnen wie die der Zeitschrift "Filmspiegel" ihr dann doch Genugtuung: "Niemals gefiel Eva-Maria Hagen so gut wie in den drei Stunden als Eliza Doolittle", heißt es dort. Und das Publikum, das inzwischen aus der ganzen DDR nach Dessau strömte, ließ sich seine Begeisterung ohnehin nicht zensieren: in 150 von 163 Aufführungen der "My fair Lady", die Eva-Maria Hagen bis 1976 bestritt.

In diesen zehn Jahren, die sie als "klassisch-moderne Lehr- und Wanderjahre" bezeichnete, wurde die Berlinerin beinahe heimisch in Dessau: Logierte in der Künstlerpension im Birkenweg 14, sah in Wörlitz schwarze Schwäne über den See ziehen und wurde im Theater liebevoll "Evchen" genannt. Gastrolle? "Das mit dem Gast lassen Sie mal lieber aus dem Spiel", diktierte sie einem Journalisten. "Ich fühle mich in diesem Kollektiv wie zu Hause . Auch das ist der Grund, meine Dessauer Brücken vorläufig nicht abzubrechen."

DDR-Führung und Stasi hatten sich das freilich ganz anders gedacht, zumal Eva-Maria Hagen an der Beziehung und dann an der Freundschaft zu Wolf Biermann festhielt. In ihren Stasi-Akten von 1971 ist zu lesen: "Es ist darauf hin zu arbeiten, daß erreicht wird, mit der Hagen keine weiteren Verträge in Dessau abzuschließen." In Erwägung gezogen wurde auch, der passionierten Autofahrerin Rauschgift einzuflößen, um sie in flagranti am Steuer erwischen zu können.

Daraus wurde freilich nichts, im Gegenteil: Die Hagen wurde noch für weitere Produktionen engagiert und war zwischen Schwerin und Suhl als Eliza auf Tour. Doch war der letzte Auftritt des Blumenmädchens in Dessau vorgezeichnet: Als Wolf Biermann im November 1976 ausbürgert wurde, fehlte unter den Protestnoten natürlich auch der Name der Eva-Maria Hagen nicht. Das bedeutete Berufsverbot und 1977 die "Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR".

Umjubelter Abschied

"16.12.76 - 163. und letzte Aufführung", hat Kapellmeister Wolfgang Schmorl akribisch in seinem Klavierauszug der "My fair Lady" notiert. Die Dessauer nahmen an diesem Wintertag unter Jubel und Tränen Abschied von der Frau, die vielleicht ein bisschen so war, wie eine Rezension ihre Eliza Doolittle beschreibt: "selbstsicher, robust, sich kess in den Hüften wiegend und triumphierend".

Als Eva-Maria Hagen zum allerletzten Mal Spaniens Blüten blühen ließ, dürfte das sprießende Grün für sie eine ganz neue Bedeutung gewonnen haben: Als Farbe der Hoffnung - auf ein neues Leben jenseits der DDR.