Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Rosa Sarg für kurze Ohren
dessau/MZ. - Der kahle Kopf und die mittig platzierten Beißer erscheinen originalgetreu. Die Verlängerung der sichtbaren Extremitäten gerät recht extrem. An den Ohren wiederum hätte man noch ein klein wenig arbeiten können. Aber: Das ist der vorerst untote Graf Orlok, einst von Max Schreck gespielt, nun unsterblich von Thorsten Köhler erweckt; bis die Sonne aufgeht.
Am Sonnabend war wieder Wunschfilm-Zeit im Alten Theater. Diesmal standen drei Stummfilm-Klassiker, die genre- oder stilbildend wirkten, zur Wahl: "Das Cabinet des Dr. Caligari" von Robert Wiene oder Fritz Langs "Dr. Mabuse, der Spieler". The winner was: "Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens", 1922 von Friedrich Wilhelm Murnau in fünf Akten gedreht, ein Urahn der Vampir- und Horrorfilme. Nicht autorisiert, folgte der Streifen stumm dem Roman "Dracula" von Bram Stokers, sollte nach einem Urheberrechtstreit vernichtet werden und überlebte. Werner Herzog drehte eine Hommage mit Klaus Kinski in der Hauptrolle. Nun führt David Ortmann moderierend Regie über den aus dem Handgelenk gespielten Film.
Der lebende Fliegen verspeisende Makler Knock bekommt vom Grafen Orlok, ansässig in den Karpaten, den Auftrag, ein Haus in der Hafenstadt Wisborg zu kaufen. Knock schickt seinen Mitarbeiter Hutter zur Unterhandlung. Orlok segelt mit Särgen voller heimischer Erde ins neue Domizil. Mysteriös verstirbt die Besatzung auf der Reise.
Das Geisterschiff bringt Ratten und Pest. Retten kann nur eine Frau, die ihr Blut freiwillig dem Vampir überlässt. Den Part übernimmt Hutters frisch vermählte Frau Ellen und Orlok verpasst trunken den Hahnschrei…
Willkommen also in der Unheimlichkeit inmitten des gerade aufgespürten Unbewussten. Ellen scheint auch wirklich ein wenig zu wollen und dann das Blut und die Libidodefekte der saugenden Männer usw. Murnau flocht immer wieder Naturstudien in den Film, verband die Wirklichkeit stufenlos mit dem Übernatürlichen, nutzte etwa Bildmotive von Caspar David Friedrich.
Im Alten Theater gibt es keine Naturstudien, dafür das Bühnenbild der nächsten Premiere. Schließlich kostet der Eintritt nur 299 Cent. Helfen sollen nun Werbepausen, leicht grotesk. Wie gewohnt, darf das Publikum intervenieren. Doch Programm- und Genrewechsel per Fernbedienung werden diesmal vom Moderator definiert, à la gib mal den Kinski. Köhler gibt´s ihm. Und Kochshows sind bekanntlich sehr gesättigt. Hans Jürgen Müller-Hohensee spielt die Schrifttafeln, er spricht sie ohne Füßchen. Jan Kersjes frisst Fliegen, spielt Knock und andere, muss zudem die eigene Leiche finden, macht aber vor allem Musik, radikal filmisch und augenzwinkernd am Klavier. Bravo! Jungfamilie Hutter (Sebastian Müller-Stahl und Katja Sieder) biedermeiert genüsslich. Sie will schon ein wenig Biss. Und bei diesem Orlok denkt man an alles, an Travestie und Transsilvanien, an Blut mit Himbeersauce, an die Gier nach befleckter Lust und an lustiges Blut. Gut, es gibt einige Längen im Film, aber vor allem viel Schattenriss und Komödiantenlust. Vielleicht ist der Wehrwolf wirklich ein Plüschtier und der rosa Schuhkarton die Alternative zum Sarg. Der Kopf passt hinein. Deshalb also wurde auf die originale Ohrgröße verzichtet, vermutlich.