Dessau-Roßlau Dessau-Roßlau: Rollende Bauhaus-Hühner im Ruhestand
Dessau/MZ. - So kann man sich seinen Lebensabend gefallen lassen. Vorher noch die Welt bereisen und sich nun verwöhnen lassen, im eigenen Reich stolzieren und immer nach dem Besten Ausschau halten. Und lamentieren, wenn mal jemand in die Nähe kommt - ohne eine kleine Gabe dabei zu haben.
Alma, Ise, Lucia und Nina, die vier berühmtesten Hühner Dessaus, haben sich - oder besser gesagt: wurden - zur Ruhe gesetzt. Zwei Sommer sind die vier Hühnerdamen nicht nur durch Dessau, sondern durch Deutschland gereist, waren in Stuttgart und Leipzig, haben längst eine Fangemeinde, die bis an den Balaton reicht, und wohl auch gelernt, französisch zu gackern... Doch nun wächst in Kleinkühnau das saftigste Gras der Welt für die Vier, genießen sie ihr Altenteil.
Aber wie alt wird eigentlich ein Huhn? Constance Klein, die sich zusammen mit ihrem Mann Mirko, den Töchtern Johanna und Annemarie sowie den Großeltern Edith und Gerald Siersleben über den Familienzuwachs freut, kraust die Stirn. "Wir haben uns viel belesen", sagt sie, "doch herausgefunden haben wir es nicht." Ganz einfach, weil Huhn normalerweise nach anderthalb oder zwei Jahren in Topf oder Pfanne landet. Doch Alma, Ise, Lucia und Nina? Niemals! - Obwohl gegen so ein Hühnerbein auf dem Teller hat auch bei Kleins niemand etwas einzuwenden. Nur bitte keines, das man mit Namen kennt!
Und kennen, das ist im Fall von Kleins und den Hühnern ja tatsächlich nicht untertrieben. Zweimal waren die Vier bei der Familie in der Sommerfrische. Denn in der MZ hatte Constance Klein gelesen von der Aktion der rollenden Hühner-Kommune, die von Ursula Achternkamp, freie wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Bauhaus, ersonnen ward. "Chicks on Speed", die Hühner-Nutztiertournee, knüpfte an die Wurzeln der Bauhaussiedlung im Süden der Stadt an. Als Walter Gropius die Siedlung entwarf, gehörten Gärten wie Ställe zur Selbstversorgung der Bewohner dazu. Und das Gackern der Hühner war wohl vor über 80 Jahren eher Normalität als Ausnahme.
Und die Bewohner heute? Ließen sich zum Teil ein auf das Experiment mit dem rollenden Hühnerstall und den vier Hühnern, und machten auch anderen Dessauern Lust auf Hühnerhaltung auf Zeit - und vor allem frischen Eier.
Wie Constance Klein, die ihre Familie mit dem rollenden Besuch überraschte und voll ins Schwarze traf. "Wir sind Hühner-verrückt", lacht Tochter Johanna. "Das war eine spannende Erfahrung für uns alle. Hühner hat man schließlich nicht alle Tage." Und keine wirklich schwere Frage war es schließlich im Klein'schen Mehrgenerationenhaus, ob die Vier dauerhaft genommen werden können, als sich die Idee mit der Ruhestands-Landkommune zerschlug.
"Wir sind alle tierlieb", so Constance Klein. Ob Hund und Katze, Wasserschildkröten oder verschiedene Nagetiere - alle sind willkommen und haben ihren Platz. Alma, Ise, Lucia und Nina natürlich auch.
Wären sie nicht gekommen, hätte dennoch bei Kleins der extra für die Tournee entworfene Hühnerstall beste Dienste geleistet. "Wir hatten gefragt, ob wir ihn bekommen könnten", so Constance Klein. Freilich nicht ohne Hintersinn. Denn im Frühjahr 2013 sollten eigene Hühner her. Junge Tiere. Nun sind es also erwachsene Hennen. Aber immerhin Hennen mit Reputation. Wer kann schon von sich sagen, beim "Anhalter des Jahres" den zweiten Platz belegt zu haben? Die Hühnerdamen, ohne Frage, haben Schlagzeilen gemacht!
Und nun also haben sie sich zurückgezogen. Werden nicht mehr aller 14 Tage in Kartons gepackt und reisefertig für den nächsten Umzug gemacht. Nicht mehr so oft fotografiert und bestaunt. Ganz hühner-like stehen sie mit den berühmten Hühnern (wenn es also hell wird) auf, scharren, picken, legen (noch immer) ihre Eier, scharren und picken und gehen mit den Hühnern (wenn es also dunkel wird) ins Bett.
Das Bett freilich ist eine Stange. Oder ein Zwischenboden oder auch ein Nest aus Stroh. Längst nämlich haben sich die Vier zu Charakterköpfen entwickelt - und so einträchtig wie anfangs gemeinsam nebeneinander auf der Stange sitzen? Die Zeiten sind vorbei. Was auch damit zu tun haben könnte, dass die Vier etwas voluminös geworden sind. Sie sind nicht nur weit gereist, sie stehen auch gut im Futter. Und genießen nun den ersten Dessauer Winter in ihrem extra von Vater Klein und Großvater Siersleben gezimmerten Auslauf. Und haben auch Freilauf im Garten. Schnee aber mögen sie überhaupt nicht.
"Wir wissen auch nicht, ob Hühner frieren", machen sich Kleins so ihre Gedanken und es den Hühnern angenehm. Wenn schon Familienanschluss, dann richtig. Und etwas besseres hätte den Bauhaushühnerdamen wohl auch nicht passieren können.