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Bilder, die einen nicht mehr loslassen

Von Sylvia Czajka 13.04.2005, 17:05

Weißandt-Gölzau/MZ. - "Schwarz. Groß. Ein Mann. So einen hatte ich noch nie zuvor gesehen." Gerhard Möller lächelt, während er sich erinnert. "13 Jahre muss ich damals gewesen sein, als er plötzlich vor uns stand: Es war ein schwarzer Mann." Dessen Haut schwarz blieb, auch wenn er sich wusch. Es war jemand, der anders aussah, anders sprach, erzählt der heute 73-Jährige, darüber, was ihm einst als Steppke durch den Kopf ging. "Denn schließlich waren wir ja irgendwie alle weiß."

Gerhard Möller hat die erste Begegnung mit dem dunkelhäutigen Amerikaner nicht vergessen. Damals im April 1945 in Weißandt-Gölzau. Auch sein Freund Martin nicht, der zehnjährige Sohn des Müllers Göricke von gegenüber.

Martin Göricke und Gerhard Möller leben immer noch vis-á-vis, wie einst vor 60 Jahren. Das, was sie verbindet, ist mehr als eine Nachbarschaft, ist Freundschaft. Aber es sind auch die gemeinsamen Erlebnisse, die die Männer in all den Jahren teilten, die zu gemeinsamen Erinnerungen wurden. "Ereignisse, die man einfach nicht vergessen kann", meint Martin Göricke im MZ-Gespräch. Da sind Fotos im Kopf, die einen nicht mehr loslassen. Wohl ein ganzes Leben lang. Dazu zählen auch Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg.

Die Angst war eigentlich immer da, erinnert sich der heute 70-jährige Martin Göricke. Auch als die Weißandt-Gölzauer spürten, der Krieg ist zu Ende. Schwarz sei der Himmel gewesen, erzählen die Nachbarn. Schwarz von Flugzeugen, die Richtung Dessau und Berlin flogen, um dort ihre Bomben abzuwerfen, das muss so im März 1945 gewesen sein. "Es war ein Krach, kaum auszuhalten." 800 bis 1200 Flugzeuge müssen es wohl gewesen sein, schätzen sie. Ihre Gedanken drehten sich nur um "Hauptsache, bei uns schmeißen sie nichts ab". "Warum wir verschont blieben, das weiß nur Gott", sagt Gerhard Möller heute.

In den letzten Tagen vor Kriegsende hätten KZ-Häftlinge am Ortsrand genächtigt. Etwa 350 waren es wohl. Unter ihnen Franzosen, auch Polen. Das Klappern der Holzpantinen, als die Menschen durch den Ort geführt wurden, das hören die beiden Männer heute noch ab und zu in ihren Träumen und auch die Schüsse, die einst durch die Nächte hallten. Das waren die letzten Aktionen der Deutschen, bevor die Amerikaner eintrafen. Und die begingen ihre Siegesfeier am 14. April 1945, sind sich Martin Göricke und Gerhard Möller sicher. Heute vor 60 Jahren.

Fünf Blöcke belegten "die Amis" in der Gartenstraße. Zogen ein. "Klar", sagen sie, "dass wir als Jungs auch neugierig waren und natürlich auch von amerikanischer Schokolade gehört hatten", schmunzelt Martin Göricke. Der dachte damals mit seinem Kumpel Hilmar Kummer, die kostbare Süßigkeit in seinen Hände zu halten. "Doch denkste." Die Masse in die er genüsslich biss, war "scharfer Kautabak".

Tja, so war das damals, meinen die Steppkes von einst, die irgendwie miteinander alt geworden sind in ihrem Weißandt-Gölzau. Hier, wo sie ihren ersten farbigen Amerikaner trafen, Unvergessenes, kaum Fassbares erlebten, Kautabak schluckten und heute sagen: "Krieg ist immer sinnlos".

Anlässlich des Kriegsendes vor 60 Jahren wird der Kultur- und Heimatverein Weißandt-Gölzau 1990 e. V. über die damaligen Ereignisse in der Region berichten und die Ergebnisse der bisher geführten Zeitzeugengespräche vorstellen. Die Veranstaltung findet am Donnerstag ab 18 Uhr im Gemeindezentrum in Weißandt-Gölzau statt.