Ausstellung Ausstellung: Seelenportäts ohne Schminke im Rathaus
Roßlau/MZ. - Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Bürgerinnen, liebe Bürger! Huren, Kranke und Lahme, Ketzer und Krüppel haben sich im Rathaus verschanzt. Ihr Anführer soll ein gewisser Fochmann sein, der auf wirklich hinterhältige Weise agiert. Erst schmückt er das Treppenhaus mit verblühten Blümchen, um den ahnungslosen Bürger dann in eine still schreiende Sekte der Randexistenzen zu locken.
Doch damit nicht genug: Weiter oben, ganz in der Nähe des Ortes, wo unser Bürgermeister bis spät in den Abend seinen Dienst verrichtet, postiert er gar seine Konkubinen. Wahre Fleischberge aufgedunsener Erotik.
Ein Skandal? Nein - nur Kunst. Schön, dass man im Roßlauer Rathaus zum wiederholten Male das Wagnis eingeht, Bilder auszustellen, die mit gefälligen Dekorationen, wie sie sonst oft in öffentlichen Gebäuden belanglos flimmern, wahrlich nichts zu tun haben. Die Bilder des Thomas Fochmann sind alles, nur lau sind sie nicht. Im polternden Almanach der Grenzerfahrungen gelingen ihm ungeschminkte Seelenporträts.
Doch der Spontanmaler wird oft von seiner eigenen Geschwindigkeit überholt. Dann opfert er seine Opfertiere des Kults der Leistungsgesellschaft der technischen Indolenz. Da werden zuweilen Flächen vernachlässigt, Hintergründe verlegen zugeschmiert, bleiben konträre Formen ohne kompositorischen Nutzen unvermittelt beieinander. Wer so spontan malt, wie der 1963 in Dessau geborene Fochmann, darf sich vergreifen.
Aber der Maler muss ein Auge dafür haben und gewisse Bilder überarbeiten oder verwerfen. Was soll auch diese magere Reminiszenz an Vincent van Gogh? Zumal er damit eine Vergleichsebene schafft, die der Autodidakt Fochmann nicht im geringsten zu halten vermag. Ähnlich befremdet ist man, wenn er à la Jackson Pollock Farbe aus der Tube direkt auf den Malgrund quetscht, und sich in Action Painting übt. Fatal sind hier schon die ewig stereotypen Formate. Viel zu viele, scheinbar wenig verinnerlichte stilistische Anleihen tauchen auf.
Und trotzdem: Wenn Fochmann seine Visionen unmittelbarer aus dem Bauch auf den Malgrund wischt, kämmt oder spachtelt, glotzt man zuweilen wie das schmierig, grüne Lurchgesicht "der Galeristin". "Nachbars Tochter" bläht wie ein dralles Daunenkissen zu einem Kleinkind mit der Ausstrahlung einer ewigen Großmutter. "Von Furcht besiegt" verliert sich ein Gesicht völlig in Farbsträhnen. Ein "Mädchen in der Pubertät" betrachtet den Umbau ihrer Welt gleich aus drei Augenpaaren. "Gesichter wie Masken ablegen", heißt ein anderes Bild.
Fochmanns Gesichter sind schrill oder stumm schreiende Masken, Außenseiter, die polternd Leben erwecken. Schade, dass auch hier die Geschwindigkeit ihren Tribut fordert. Weiter oben posiert gemästete Erotik. Das lockere Handgelenk, den treffsicheren Strich, den die drallen Mädels suggerieren, nimmt man der zentnerschweren Erotik nicht ganz ab. Und dann hängt da dieses Bild: "Krebsstation" - rosa, naiv und zärtlich. Wenige Striche verletzen die kindliche und doch Unheil ahnende Poesie. Zart grün lasiert der Tod das Leben.
Aber was soll dieser Fleischbatzen nebenan, diese Mastlarve im Pollock-Kokon, diese brüske Zeichnung weiblicher Formenfülle im verlegenen Farbmeer. Nun - Fochmann ist eben nicht lau. Die Ahnengalerie der Grenzerfahrungen durchläuft man mit gemischten Gefühlen. An manchen Bildern geht man mit Recht vorbei, vor manchen flieht man gar, und oft glotzt man erstaunt und ergriffen mit dem Lurchgesicht der Galeristin.