Altes Theater Dessau Altes Theater Dessau: Verzweiflung pur und keine Revolution in Sicht
DESSAU-ROSSLAU/MZ. - Sie stolpern mehr durchs Leben, als dass sie es führen. Wie soll man im Mansfelder Land zu Beginn des 21. Jahrhunderts auch seinen Weg finden, mit nur vier Mitbewohnern im gesamten Wohnblock? Wie seinen Kindern etwas bieten? Schorse (Sebastian Müller-Stahl) und Boxer (Matthieu Svetchine) sind Zeitarbeiter in einem Getränkelager und wollen eigentlich nur wegziehen. Zusammen mit dem Azubi Paul (Jan Kersjes) sind sie mangels Perspektiven allesamt abhängig von dessen Vaters Gnaden.
Bejubelte Premiere
Am Freitagabend feierte das Stück "Alter Ford Escort dunkelblau" des gebürtigen Schkeuditzers Dirk Laucke (Jahrgang 1982) im Alten Theater Dessau in der Regie von Christoph Sommerfeld und Andrea Moses seine bejubelte Premiere. Mehr als 100 Bierkästen aller Sorten und Farben stapeln sich auf der Studiobühne. Ausstatterin Sophie du Vinage schafft damit einen Raum, den jeder aus seinem Konsumentenalltag kennt, aber den wohl die wenigsten schon einmal unter den Vorzeichen eines komplexen Gefühlsreaktors betrachtet haben.
Hier bringt jeder der drei Männer seine eigenen Probleme in die Figurenkonstellation ein, die Figuren prallen in verschieden heftig ausfallenden Ausbrüchen immer wieder aufeinander. Der zottelige Plüschtiger, der einst das kuschelige Familiensofa von Schorse, seiner Frau (Susanne Hessel) und ihrem gemeinsamen Sohn zierte, sitzt nun quasi über allen Dingen. Das Leben passiert diesen Menschen einfach - sie haben nie gelernt, es mit ihren Möglichkeiten zu gestalten. So müssen diese Haltlosen zwangsläufig zu Getriebenen werden. Sie haben sich eingerichtet in ihrer Welt - und wollen doch nichts lieber, als ihr zu entkommen. Vorläufiges Ziel: Legoland, das Kind hat Geburtstag. Weiter lässt sich erst mal nicht planen und selbst dafür reicht kaum das Geld.
Ein bisschen Klassenkampf
Die Stärke des Stückes liegt in seiner Unmittelbarkeit. Es bedient sich der Alltagssprache, bricht diese jedoch immer wieder mit Meta-Parolen des Klassenkampfes: "Zeitarbeit ist Scheiße und moderne Sklaverei!" Was soll man auch sonst zu Stundenlöhnen von weniger als fünf Euro sagen? Wäre es mal wieder Zeit für eine Revolution? Die (ökonomisch) Schwächsten einer jeden Gesellschaft haben natürlich keine Lobby - wer also kann und möchte ihre Interessen vertreten? Die Inszenierung spürt diesen Fragen nach, indem sie die Zuschauer ganz dicht an ihre Akteure heranlässt. Ohne technische Spielereien kommt sie aus, gestützt nur von wenigen Lichtwechseln und ein bisschen ACDC-Konserve aus dem Ghettoblaster. Ansonsten liegt die Konzentration ganz auf den Akteuren.
Und die wissen an diesem Abend genau was sie tun. So wird Glaubhaftigkeit erzeugt, die der Situation selbst innewohnt, die nicht erst künstlich geschaffen werden muss. Weil wir ihnen aber alles glauben, die hilflose Verzweiflung wie die Hoffnung auf das kurze Glück, müssen wir oft mit ihnen und über sie lachen.
Denn wenn alles schon schlimm genug ist, kommt es bei Laucke immer noch schlimmer. Am Ende des Trips in Richtung Dänemark schreit das Kind erstmalig nach seinem Vater. Doch zumindest diese kleine Familie ist wohl nicht mehr zu retten.
Die nächsten Vorstellungen: Dienstag und Mittwoch, jeweils um 19.30 Uhr, Altes Theater, Studio