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Auf Vertriebenen-Zug verschwunden? Ahnenforscher sucht Hinweise auf Großonkel - die Spur verliert sich in Dessau

Von Daniel Salpius 08.09.2021, 08:00
Franz Kojetinsky mit seiner ersten Frau und den drei Söhnen - vermutlich in den 1920er Jahren
Franz Kojetinsky mit seiner ersten Frau und den drei Söhnen - vermutlich in den 1920er Jahren Repro: Klaus Nitschmann

Dessau/MZ - Franz Kojetinsky - Kunstmaler und vertriebener Sudetendeutscher - erreichte vermutlich um den 10. Juli 1946 die Bauhausstadt Dessau. Auf einem tschechischen Transportzug war er am 7. Juli in Gablonz an der Neiße oder Jablonec nad Nisou, wie der tschechische Name der Stadt lautet, gestartet. Zuvor war Kojetinsky in Reinowitz, einem Sammellager für Deutsche, untergebracht gewesen. Von hier wurde er mehr als ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs Richtung Ostdeutschland abtransportiert. Er reiste im Waggon mit der Nummer 9.

Großonkel durch tschechische Kirchen- und Militärarchive bis in die Bauhausstadt verfolgt

All das lässt sich relativ lücken- und problemlos rekonstruieren. In Dessau allerdings verliert sich jede Spur des damals 67-Jährigen. „Vielleicht ist er auf dem Transport verstorben oder später im Auffanglager. Oder er wurde weiterverschickt. Ich möchte jedenfalls gern wissen, was aus ihm geworden ist“, sagt Hobby-Ahnenforscher Klaus Nitschmann. Der 77-Jährige aus Neuffen bei Stuttgart hat diesen Franz Kojetinsky, diesen ältesten Bruder seiner Großmutter, durch tschechische Kirchen- und Militärarchive bis in die Bauhausstadt verfolgt und steht nun vor einem Rätsel. „Es muss doch eine Organisation geben, die etwas über ihn weiß.“

Bei der Spurensuche nahm Nitschmann auch Kontakt zum Dessau-Roßlauer Stadtarchiv auf. Er habe die Information erhalten, dass die Vertriebenen in das Auffanglager „Werkheim Nord II“ kamen. „In den Akten finden sich zum Lager zwar Listen über ausgegebenes Essen, aber keine Namen von Insassen“, ist der Ahnenforscher enttäuscht. Auch in den Zeitungsberichten aus den Tagen um den 10. Juli 1946 hätten sich leider keine Hinweise auf seinen Verwandten gefunden.

Letzte Hoffnung des Ahnenforschers sind Zeitzeugen oder auch nur Bilder von der Ankunft der Vertriebenen am Dessauer Bahnhof

Nitschmanns letzte Hoffnung sind daher Zeitzeugen, die seinen Großonkel womöglich noch kannten, die wissen, was aus ihm geworden sein könnte oder auch nur Bilder von der Ankunft der Vertriebenen am Dessauer Bahnhof besitzen. „Viele der Menschen, die mit ihm damals angekommen sind, dürften sicher schon verstorben sein“, schätzt der ehemalige Ingenieur ein. „Aber deren Kinder leben mitunter noch. Und vielleicht sind einige von den Sudetendeutschen hängengeblieben in der Region.“

Die schwierige Suche nach seinem Großonkel kam eher zufällig ins Rollen, als der Rentner einen Verwandten in Niederösterreich besuchte: Kojetinskys Enkelsohn. „Er interessierte sich sehr für das Schicksal seines Großvaters.“ Nitschmann, der bereits seine Vorfahren in digitalisierten tschechischen Kirchenbüchern bis ins Jahr 1693 zurückverfolgt hatte, erklärte sich bereit zu helfen.

Klaus Nitschmann sucht seinen Großonkel Franz Kojetinsky
Klaus Nitschmann sucht seinen Großonkel Franz Kojetinsky
Klaus Nitschmann

Franz Kojetinsky scheint, nach allem was Nitschmann weiß, ein Einzelgänger gewesen zu sein. Am 5. Januar 1877 in Neutitschein im Sudetenland geboren, ging er in jungen Jahren nach Wien und Budapest, wo er Kunstmalerei studierte. 1921 heiratete er in Österreich. Aus der Ehe gingen drei Söhne hervor.

Kojetinsky war ganz allein auf dem Transportzug von Gablonz nach Dessau

In Gablonz heiratete Kojetinsky später erneut und hatte mit seiner zweiten Frau eine Tochter. An der Neiße wohnte er im Laufe der Zeit an unterschiedlichen Adressen. „Das habe ich mit Hilfe eines Gablonzer Adressbuches herausgefunden.“ Darin sei er als Kunstmaler, Dekorateur und Kirchenmaler geführt worden.

Auch die zweite Ehe des Franz Kojetinsky sei jedoch in die Brüche gegangen. Zur Verwandtschaft habe er wohl kaum noch einen Draht gehabt, so Nitschmann. Der Kontakt sei schon vor der Vertreibung aus dem Sudetenland abgebrochen. Seine zweite Frau sei mit der Tochter nach der Flucht in Westdeutschland angekommen. Kojetinsky jedoch war ganz allein auf dem Transportzug von Gablonz nach Dessau. Sein Großneffe gibt dennoch die Hoffnung nicht auf, dass der Maler in der Bauhausstadt doch noch irgendwelche Spuren hinter lassen haben könnte.